Münchner Kindl

"Die Straße war unser zweites Zuhause…".
Das Münchner Kindl der Weimarer Zeit
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Bayerischer Rundfunk, "Bayern – Land und Leute", 6.11.1994

Es ist noch gar nicht solange her, als in Bayern Zustände herrschten, wie wir sie heute nur noch aus Notstandsgebieten der Dritten Welt kennen. Für München ergab eine Untersuchung 1921, daß die Hälfte aller Volksschulkinder kein eigenes Bett hatte, über 80% keine Schuhe besaßen und 75% von Läusen befallen waren. Von den 15.000 Kleinkindern unter zwei Jahren, die von der Fürsorge betreut wurden, konnten mehr als zwei Drittel nicht einmal mit dem Nötigsten versorgt werden. Kisten und Waschkörbe, Reisekoffer und Hutschachteln mußten als Schlafgelegenheiten herhalten, alte Stofffetzen ersetzten die fehlenden Windeln. Bei vielen Familien machten die katastrophalen Wohnverhältnisse eine angemessene Säuglingspflege schier unmöglich, besonders wenn die Wohnungen manchmal nicht einmal einen Wasseranschluß besaßen.

Völlig unzureichend blieb auch die Versorgung mit Milch und Grundnahrungsmitteln bei einem Großteil der Bevölkerung. "Immer zahlreicher wurden die Zeitungsmeldungen von verhungernden Hausfrauen oder ganzen Familien, die sich den Gastod gegeben hatten", erinnerte sich der Schriftsteller Oskar Maria Graf an jene Zeit. Erst mit Beendigung der Inflation 1923 verbesserten sich allmählich die Lebensverhältnisse und die "Goldenen Zwanziger Jahre" gaben auch in München bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 ein kurzes und bescheidenes Gastspiel.