Kohlrabi-Apostel und Barfuß-Propheten.
Die Alternativbewegung der 1920er Jahre
Bayerischer Rundfunk, "Bayern – Land und Leute", 26.10.1991
Mit dem verlorenen Ersten Weltkrieg war in gewisser Weise auch das Bürgertum gescheitert, der (gut)bürgerliche Lebensentwurf schien ausgedient zu haben. Die nun folgende fundamentale Unsicherheit verlangte nach Umorientierung, nach neuen Werten. Die "wilden 20er Jahre" waren eine Antwort darauf. Alternativ-Bewegungen unterschiedlichster Ausprägung versuchten auf ihre Weise, wieder Sinn ins Leben des Einzelnen zu bringen. Zahlreiche selbsternannte Erlöser fühlten sich berufen, den verunsicherten Menschen ihrer Zeit den Weg zur heilbringenden Lebensweise zu zeigen. Lebensreformer, Vegetarier, völkischen Welterlöser, Pazifisten, Anthroposophen, urchristlichen Heilsbringer, Blut-und-Boden-Mystiker und Spiritisten überschwemmten das Land. Keine Ideologie war obskur genug, um nicht auch ihre Anhängerschaft zu gewinnen. Als brisante Mischung einiger solcher Anschauungen erwies sich die Ideologie eines gewissen Herrn Hitler. Er bezog aus jener Zeit nicht nur viele Anregungen, sondern konnte auch auf dem weit verbreiteten Bedürfnis aufbauen, sich von erleuchteten Führern den Weg in eine angeblich bessere Welt führen zu lassen.