15.6.1877
Geburtstag von Djavidan Hanum alias May Török (gest. 5.8.1968)
Liebe Kinder, jetzt kommt Eure Sendung! Es war einmal ein Mädchen, das hatte einen Bruder und der Bruder hatte einen Freund und das war ein echter Prinz. Als das Mädchen 13 Jahre alt wurde, durfte es mit seinem Bruder auf einen Ball gehen und der Prinz tanzte den ganzen Abend nur mit ihr. Doch bald darauf starb der Vater von dem Prinzen und er mußte zurück nach Kairo, selber König werden, und das Mädchen hat nie wieder etwas von ihm gehört. (Nein, nein, der Schluß ist zu traurig, so kann kein Märchen enden. Also nochmal): Der Prinz fährt weg, das Mädchen bleibt zurück. Lange Jahre vergehen und aus dem kleinen Mädchen wurde eine schöne junge Komteß. An ihren Prinzen konnte sie sich kaum noch erinnern, doch seine wunderschönen blauen Augen, von denen ein unbeschreibliches Leuchten ausging, die hatte sie nie vergessen können. Eines Tages fuhr die Komteß nach Paris, als plötzlich der König von Ägypten vor ihr stand. Seine Augen, die erkannte sie sofort wieder und auch er erinnerte sich an die kleine Komteß und sie gefiel ihm so gut, daß er sie nie mehr von sich gehen ließ. Und wenn sie nicht gestorben sind…
So unwahrscheinlich es klingt, aber dieses „Märchen“ hat sich Anfang dieses Jahrhunderts tatsächlich zugetragen, fast alles an der Geschichte stimmt, nur der Schluß war ein wenig anders. Jedenfalls folgte die ungarische Grafentochter May Török ihrem König wenige Wochen später nach Kairo, wo die beiden heimlich getraut wurden. Eine offizielle Heirat der "ungläubigen" Europäerin mit dem mohammedanischen Herrscher konnte erst zehn Jahre später stattfinden, als May Török sich zum Islam bekannte und den Namen Djavidan annahm., und offiziell die „Hanum“ des Königs wurde. Von 1900 bis 1913 dauerte die Verbindung des Paares. In den ersten Jahren waren die beiden unzertrennlich, auch wenn das mitunter große Probleme aufwarf. Oft konnte Djavidan nur als Mann verkleidet mit Abbas Hilmi auf Reisen gehen, denn ihre Möglichkeiten als Frau in einer islamischen Gesellschaft waren begrenzt. Anfangs empfand sie solche Herausforderungen noch als abenteuerlich und anregend, später wurden ihr die Versteckspiele jedoch immer lästiger und unangenehmer, und sie sehnte sich immer heftiger zurück nach Europa. Als Abbas Hilmi sich aufgrund einer Haremsintrige von ihr abwandte, beschloß Djavidan ihn zu verlassen. Als 23jährige war May Török nach Ägypten gegangen, als 36jährige kehrte Djavidan Hanum 1913 ins kaiserliche Österreich zurück.
Nach 13 Jahren Abwesenheit, auch noch in einer fremden Kultur, gab es nun viel nachzuholen. Sie stürzte sich ins gesellschaftliche Leben Wiens, nahm Klavierstunden beim Liszt-Schüler Eugen d’Albert, verkehrte in der höchsten Gesellschaft und in Künstlerkreisen, wo sie die zweite große Liebe ihres Lebens traf, einen 15 Jahre jüngeren russischen Emigranten und ehemaligen Offizier des Zaren. Die beiden zogen Anfang der Zwanziger Jahre nach Berlin und verdienten sich ihren Lebensunterhalt als Statisten beim Film. In den Dreißiger Jahren gehörte das exzentrische Paar zum inneren Kreis eines dubiosen Zirkels von Nazibonzen, Adeligen und Filmleuten, der 1934 als angeblicher Spionagering aufflog. Zwei ihrer Freundinnen wurden hingerichtet; Djavidan und ihr russischer Offizier gingen wieder zurück nach Österreich. Im Laufe der vierziger Jahre verarmten die beiden völlig. Die "Königin vom Nil", die nach dem ersten Weltkrieg noch Opernpremieren finanzieren konnte, hatte nach dem zweiten Weltkrieg nicht einmal mehr genug zu essen. Aus Hunger brach sie auf offener Straße zusammen und mußte in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Dadurch wurde die Presse auf sie aufmerksam und ihre Geschichte stand in allen Zeitungen. Djavidan bekam das Angebot, ihre Erinnerungen zu veröffentlichen und so wieder zu Geld zu kommen. Anfang der Fünfziger Jahre machte Djavidan auch noch eine kleine Erbschaft, wovon sie und ihr russischer Freund bescheiden leben konnten. Die intelligente und wortgewandte Frau war bis zu ihrem Tod im Jahre 1968 schöpferisch tätig. Sie schrieb Hörspiele für den Rundfunk, malte Bilder und machte Musik. Ihre Memoiren, in denen sie sich auch kenntnisreich mit der Institution Harem und der Rolle der Frau in der islamischen Gesellschaft auseinandersetzte, sind nicht zuletzt wegen der scharfzüngigen und bildhaften Ausdrucksweise bis heute lesenswert.