Ankunft der Baronin

15.10.1932
Ankunft der Baronin Wagner-Bousquet auf der Insel Floreana

Nein, eine Schönheit war die über Dreißigjährige mit ihrem Pferdegebiß sicher nicht, auch wenn sie unzweifelhaft große Anziehungskraft auf die Männer besaß. Zumindest hatte sie zwei ihrer engeren Freunde dazu überreden können, auf einer einsamen Insel im Galapagos-Archipel ein neues Leben zu beginnen, also möglichst weit weg von spießig-bürgerlichen Moralvorstellungen. Und sie hatte große Pläne, als sie am 15. Oktober 1932 auf Floreana landete. Zu ihrem umfangreichen Gepäck gehörten auch etliche Säcke Zement und anderes Baumaterial, denn Baronin Wagner-Bousquet hatte vor, ein Luxushotel zu eröffnen. Ihre Kundschaft sollten die angeblich so zahlreich vorbeisegelnden, amerikanischen Millionäre sein. Um auf sich und ihr Hotel aufmerksam zu machen, lancierte die Baronin geschickte Artikel in diversen amerikanischen Zeitungen. Bald geisterte sie werbewirksam als Amazonenherrscherin und "Kaiserin von Floreana" durch die Gazetten. Darüber konnten die anderen Siedler auf der kleinen Insel nur hohnlachen. Aus ihrem Grandhotel war nämlich lediglich ein jämmerlicher "Wellblechpalast" geworden, und die Kunden ließen ebenfalls auf sich warten. Die anderen bezweifelten auch heftig, daß die Baronin überhaupt eine Baronin war, hatten sie sich doch schon häufig die haarsträubendsten, angeblich wahren Abenteuergeschichten und Aufschneidereien anhören müssen. Außerdem trug das wenig vornehme Betragen der "Baronin" mit ihren beiden Liebhabern kaum zur Festigung ihrer Glaubwürdigkeit bei.
Die anderen Siedler auf Floreana, das waren ein grundsolides Ehepaar aus Köln mit einem halbwüchsigen Sohn und ein Berliner Zahnarzt mit seiner Freundin. Der kauzige Dr. Ritter war als erster auf die Aussteiger-Idee gekommen, er wollte in der freien Natur Abschied von der dekadenten Gesellschaft nehmen und nur noch seinen philosophischen Studien leben. Er hatte, zusammen mit seiner Lebensgefährtin Dora, zuerst fast drei Jahre lang völlig allein auf Floreana gelebt. Das Paar war gerade dabei, als "Adam und Eva auf Galapagos" berühmt zu werden, als im August 1932 die Kölner Familie Wittner eintraf. Der arbeitslose Verwaltungsbeamte und seine schwangere Frau sahen im wirtschaftlich und politisch gebeutelten Deutschland der Weimarer Republik keine Zukunft mehr für sich, so daß ihnen die Schilderungen von einem autonomen Selbstversorgerleben, wie es Dr. Ritter führte, paradiesisch vorkamen. Wie so häufig, erwies sich zwar das Aussteiger-Paradies in der Realität als wenig paradiesisch, doch konnten sie sich letztendlich mit viel Knochenarbeit eine befriedigende, neue Existenz aufbauen. Dr. Ritter und die Kölner waren von Anfang an alles andere als dicke Freunde, dazu hatten sie zu unterschiedliche Vorstellungen und Ideale. Sie wären auf Dauer jedoch sicherlich ganz passabel miteinander ausgekommen, wenn nicht die intrigante und Macht versessene Baronin aufgetaucht wäre. Ihr machte es offensichtlich ungeheuren Spaß, alle gegeneinander aufzuhetzen. Und das gelang ihr auch gründlich. In wenigen Monaten schaffte sie es, die Atmosphäre auf der Insel derart zu vergiften, daß die anderen in ihr teuflische Kräfte vermuteten.

Nachdem sie so eineinhalb Jahre lang ihre Spielchen gespielt hatte, verschwand sie auf einmal spurlos, und mit ihr einer ihrer Liebhaber. Keiner hatte ein Schiff kommen oder wegfahren sehen, mit dem die beiden hätten verschwinden können. Sie blieben unauffindbar. Der zweite Liebhaber versuchte sich daraufhin aufs Festland abzusetzen, kam aber von der Route ab und wurde erst Monate später auf einer unbewohnten Felseninsel verdurstet aufgefunden. Und Dr. Ritter, dessen eigene Freundin Dora nach dem Verschwinden der Baronin behauptete, Ritter hätte Blut an den Händen, starb kurze Zeit später unter mysteriösen Umständen an einer Vergiftung. Dora kehrte kurz danach zurück nach Deutschland, wo sich ihre Spur verlor. Nur die Kölner Familie, die sich völlig zurückgezogen und mittlerweile ein Baby bekommen hatte, blieb von dem, was 1934 unter dem Namen "Die Galapagos-Affäre" in der internationalen Presse großen Wirbel auslöste, völlig unberührt. Ihre Nachkommen leben heute noch auf Floreana.