Brecht- ein Volkssänger

Bertolt Brecht – ein Volkssänger?
Eine musikalische Politrevue auf seinen Spuren

in: Sänger- und Musikantenzeitung, 44/4, 2001, 280f.


Was hat ein Agitator und politischer Provokateur wie Bertolt Brecht mit den Volkssängern gemein, und mit den bayerischen im Besonderen? Wenn man sich mit dieser Frage näher beschäftigt, ergeben sich mehr Berührungspunkte, als man es sich im ersten Augenblick vorstellen kann. Was sind Volkssänger denn? Possenreißer, Imitatoren, Musik- und Gesangshumoristen, die meist aus einfachen Bevölkerungsschichten stammen und für diese ihre Stücke schreiben. In ihren Liedern geht es um menschliche Eigenschaften und Fehler, um den Alltag und seinen Wirrungen, um die kleinen Leute und die Halbwelt oder um Kritik an der Obrigkeit und an den Großkopferten. Sie arbeiten nicht selten mit stereotypen Figuren und Situationen, die den Wiedererkennungseffekt gewährleisten.

Brecht und Valentin
Bertolt Brecht hat sich als junger Mann wirklich nicht umsonst auf dem Augsburger Plärrer und in München mit seinen vielen Volkssänger-Bühnen herumgetrieben, wo man dem Volk aufs Maul schaut. Er kannte und bewunderte Karl Valentin und er war ein begnadeter Plagiator, was seine positiven wie negativen Auswirkungen hatte. Schon in den frühen Stücken wie Baal oder Trommeln in der Nacht kam eine gewisse volkstümliche Ader deutlich zum Vorschein, auch wenn Brecht sich gegen bestimmte Tendenzen immer verwehrte: Das Volk ist nicht tümlich! Obwohl selbst kein Musiker, hatte Brecht doch oft sehr genaue Vorstellungen davon, wie er seine Texte umzusetzen wünschte. In den Komponisten Hanns Eisler und Kurt Weill fand er kongeniale Begleiter. Seine Volkssänger- bzw. Bänkelsänger-Wurzeln wurden in der 1929 uraufgeführten Dreigroschenoper offensichtlich, deren Songs innerhalb eines Tages zu Gassenhauern wurden. Auch heute noch können sicherlich weite Bevölkerungskreise jederzeit die Melodie mit summen, wenn es heißt: Und der Haifisch, der hat Zähne… Diese spontane und enthusiastische Anerkennung des Werks vor allem bei den kleinen Leuten erinnert wiederum daran, dass von Mozarts Zauberflöte nach ihrer Uraufführung eine ähnlich starke Wirkung ausgegangen war. Explizit als deutsches Singspiel komponiert war die Zauberflöte somit zu einer Art Volksoper geworden, und ein solches Genre schwebte auch Brecht immer vor. Kurt Weill ging damit absolut konform. Er formulierte 1929 in einem Essay über die Entstehung der Dreigroschenoper: Es galt eine Musik zu schreiben, die (….) von musikalischen Laien gesungen werden kann. Aber was zunächst eine Beschränkung schien, stellte sich im Laufe der Arbeit als eine ungeheure Bereicherung heraus.

Quergesang und Roter Wecker
Brecht, Weill und Eisler haben in diesem Sinne viel und erfolgreich zusammen gearbeitet. Einiges davon geriet – nicht zuletzt durch die Zäsur des Dritten Reichs – in Vergessenheit. Die beiden Laienformationen Quergesang (Münchener Gewerkschaftschor) und Roter Wecker wollen zusammen mit dem neu gegründeten Hanns-Eisler-Orchester die Tradition, den kulturellen Finger auf die wunden Stellen der Gesellschaft zu legen, wieder beleben und für heutige Zeiten aktualisieren. Jede Epoche hat ja ihre speziellen Probleme, die unter den Nägeln brennen.

Zwei Beispiele: Europas Landkarte wurde vor gut zehn Jahren in ihrer deutschen Mitte nachhaltig verändert. Und plötzlich scheint wieder Krieg unter den Prämissen Verantwortung und Menschenrechte möglich. Haben wir uns da auf altbekannte Weise in ein Machtspiel verwickeln lassen, wie es schon im Kanonensong der Dreigroschenoper thematisiert wird? Oder die ungehemmte Globalisierung in der Wirtschaft und die damit einhergehende Konzentration riesiger Geldmengen in den Händen Weniger, die die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander klaffen lassen. Die Auswirkungen dieses Raubtier-Kapitalismus sind zur Zeit gut anhand der Massenvernichtung von Rindern und Schafen zu beobachten, die vor allem der Stabilisierung internationaler Märkte dient. Auch dieses Phänomen ist keineswegs neu und von Brecht beispielsweise in der Ballade von den Säckeschmeißern oder dem Song von Angebot und Nachfrage verarbeitet worden.

Brecht hat sich also tatsächlich immer auch mit dem Alltag des Volkes beschäftigt und dazu eingängige, singbare Verse formuliert. In diesem Sinne haben der Rote Wecker und Quergesang unter dem Titel Sieben Elefanten und eine harte Nuß ein komplettes, abendfüllendes Programm zusammengestellt, das nicht nur aus kritischen Liedern und Texten, sondern auch aus unterhaltsamen Musikstücken etwa im Stil der wilden 20er Jahre besteht. Und die heute leider viel zu selten gespielte Musik von Eisler, Weill oder Paul Dessau wirkt immer noch ungemein frisch und frech.