Von Damen-Cafés und Schlawinerschenken.
Ein Streifzug durch die Geschichte der „Caféstadt“ München
in: zeitenweise. Geschichtsmagazin für München, Nr. 3, Gastliches München, November 1998, S. 34-35.
„München könnte den Titel einer Caféstadt mit demselben Rechte beanspruchen, wie den einer Bierstadt, wenn es nicht vorzieht in erster Linie eine Kunststadt sein und bleiben zu wollen”. So urteilten vor fast genau 100 Jahren, am 29.8.1898, die Münchner Neuesten Nachrichten, und damals schien die Entwicklung der Zeitung auch rechtzugeben. In den rund drei Jahrzehnten der Prinzregentenzeit waren vor allem die pompösen, großbürgerlichen Cafés wie Pilze aus dem Boden geschossen. 1892 gab es über 80 dieser verschwenderisch ausgestatteten Luxusetablissements mit Zimmerpalmen und plätschernden Brunnen, Billardsalons und Spieltischen, überbordenden Zeitungsständern und überladenen Kuchenvitrinen. Bei der Eröffnung des „Prachtcafé” Probst 1856 in der Neuhauser Straße soll König Ludwig I. noch bezweifelt haben, ob sich in München ein solch „nobles Kaffee wird halten können”. Als 1888 das Café Luitpold in der Brienner Straße seine Tore öffnete, war davon nichts mehr zu hören; es wurde im Gegenteil gepriesen als schönstes Café Deutschlands. Mit seinen riesigen Sälen, die jeweils in einem anderen historischen Stil ausgestattet waren (Klassizismus, Renaissance, Barock und Rokoko), wurden sie euphorisch als „Kaffeeschloß” oder “Feenpalast” bezeichnet. Weil die meisten dieser gehobeneren Stätten des Kaffeeausschanks auch Speisen anboten, hatten sie nicht nur tagsüber, sondern auch nachts geöffnet und nannten sich deshalb gleich „Café-Restaurants”. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzten sich als Sonderform auch die Konzert-Cafés durch, in denen Orchestermusik und Tanz geboten wurde; durch den Einbau von Bühnen, Galerien und Rängen glichen sie schon eher Konzertsälen. Die große Zeit dieser Luxuscafés endete jedoch mit Beginn des I. Weltkriegs bzw. in den folgenden Inflationsjahren. Danach eroberten sich vor allem die kleineren Konditoreicafés ihren Platz in der Gastronomielandschaft Münchens.
Die Kaffeehauskultur war in München ursprünglich nicht sonderlich ausgeprägt. Die Stadt hatte sich sogar relativ spät der neuen Mode des Kaffeetrinkens geöffnet. Während in Paris, Venedig, London, Wien oder Regensburg schon ab Mitte des 17. Jahrhunderts Kaffeeschenken dokumentiert sind, finden sie sich in München erst ab Anfang des 18. Jahrhunderts. 1726 gab es gerade sieben Kaffeehäuser, 1804 waren es 31 und 1835 rund 40. Allerdings waren diese Lokalitäten noch weit entfernt von der zukünftigen Pracht eines Café Luitpold. 1840 bemerkte ein Zeitgenosse: „Wer die Eleganz der französischen oder Wiener Lokale hier suchen wollte, irrte sich. Nur eines macht den Anspruch, in diesem Sinne fashionable zu seyn: Tambosi unter den Arkaden am Eingange des Hofgartens” (zit. nach M. Schattenhofer, Von Kirchen, Kurfürsten & Kaffeesiedern, München 1974, S. 365 ).
Das legendäre „Tambosi” wurde vom gleichnamigen Betreiber seit 1810 geführt, existierte aber eigentlich schon seit 1774. Es galt lange Zeit als Ausnahme unter den Cafés in München, denn nur hier konnten Adel und Hofgesellschaft standesgemäß einkehren. Mit Aufkommen der neuen Prachtcafés verteilte sich zwar das gehobene Publikum etwas, aber das „Tambosi”, später auch als Hofgarten-Café oder Café Annast bekannt und seit neuestem unter dem alten, traditionsreichen Namen firmierend, blieb schon allein wegen der sommerlichen Militärkonzerte im Hofgarten beliebter Treffpunkt der „Haute Volée“.
Aus dem Jahr 1835 gibt es im übrigen eine interessante kulturhistorische Quelle zum Thema, nämlich eine Art „Caféführer” für München. Eine Visitationskommission hatte eine ganze Reihe dieser gastronomischen Stätten besucht und beurteilt. Ausstattung, Sauberkeit, Bedienung und Kaffeequalität wurden ausgiebig getestet. Wenige bekamen so gute Noten wie das „Tambosi”. Einige der taxierten Kaffeehäuser mußten es sich sogar gefallen lassen, als dürftig und unsauber deklariert zu werden. Der dort kredenzte Kaffee wurde als „nur zur Noth trinkbar” oder gar als „Gelberübebrühe” bezeichnet. Die einfacheren Kaffeeschenken, meist nur tagsüber geöffnet und „über eine Stiege” im Obergeschoß erreichbar, erfreuten sich dennoch bei der Bevölkerung, und vor allem bei den Frauen, großer Beliebtheit. Es gab darunter auch regelrechte „Damencafés”, in denen sich Haus- und Geschäftsfrauen oder Dienstmädchen ungestört treffen konnten. Eine Tasse Kaffee, Tee oder Schokolade, einen Likör oder ein Glas Limonade mochten sich auch die „kleinen Leute” ab und zu einmal leisten.
Wenn die verschiedenen Gattungen von Cafés und Kaffeehäusern zur Sprache kommen, darf eine Sonderform nicht fehlen: das Literatencafé. Eigentlich gab es in München nur eines, das über die Stadtgrenzen hinaus bekannt wurde, nämlich das Café Stephanie, im Volksmund spöttisch „Café Größenwahn” geheißen. In Schwabing, Ecke Amalien- / Theresienstraße gelegen, trafen sich hier um die Jahrhundertwende alle namhaften Münchner Künstler, Intellektuellen und Literaten (auch weiblicher Natur), so z.B. die Mitglieder des berühmten Kabaretts „Elf Scharfrichter”, die ansonsten in Kathi Kobus‘ Schwabinger Lokal „Simplicissimus” auftraten, aber auch die „wilde Gräfin” Franziska zu Reventlow, Frank Wedekind, Max Dauthenday, Peter Altenberg, Gustav Meyrink, Max Halbe, Emmy Hennings und viele andere mehr. Der Anarchist und Schriftsteller Erich Mühsam brachte es in seinen „Unpolitischen Erinnerungen” auf den Punkt: „Hier verkehrten massenhaft Maler, Schriftsteller und Genieanwärter jeder Art, auch viele ausländische Künstler, Russen, Ungarn und Balkanslawen, kurz das, was der Münchener Eingeborene in dem Sammelnamen ‚Schlawiner‘ zusammenfaßt” (E. Mühsam, Namen und Menschen. Unpolitische Erinnerungen, Berlin 1977, S. 113).