Die Rosenbaum-Krawalle in Memmingen im Jahr 1921.
Eine Stadt am Rande der Lynchjustiz.
Bayerischer Rundfunk, "Bayern – Land und Leute“, 6.12.1992
Zu Beginn der Zwanziger Jahre war die wirtschaftliche Lage in Deutschland prekär bis katastrophal. Und unsere Geschichte spielt in dieser Zeit: 1921 in der schwäbischen Stadt Memmingen. Es war ein ungewöhnlich heißer und trockener Sommer. Seit im Juli die Zwangsbewirtschaftung von Milch und Milchprodukten aufgehoben worden war, waren die Preise unaufhörlich gestiegen. Erbittert wurde mancherorts um jeden Pfennig Erhöhung gestritten, zumal davon ja auch die Preise aller anderen Milchprodukte wie Butter und Käse abhingen. Überall wurden Beschimpfungen und Drohungen laut gegen Bauern und Händler, die angeblich Lebensmittel heimlich zurückhielten, um die Teuerung künstlich in die Höhe zu treiben.
Wilhelm Rosenbaum war zwar Käsegroßhändler, hatte aber mit den Preisen in Memmingen nichts zu tun, weil er seine Geschäfte in anderen Städten machte. Dennoch wurde er zum Sündenbock. Unheilvoll bündelte sich der Unmut über die schlechten Zeiten, die Aggressionen der Bevölkerung gegen die Regierung sowie der immer offenere Antisemitismus. Geschickt von stadtbekannten „Judenfressern“ gelenkt – Memmingen war schon früh eine Hochburg der Nationalsozialisten -, richtete sich diese Stimmung gegen den „Käsejuden“ und eskalierte Anfang August, als eine Menge von 2-3000 Menschen vor seinem Haus demonstrierte. Zwei Polizisten hatten den Auftrag, ihn in Schutzhaft zu nehmen. Beim Versuch, ihn zu Fuß zum Gefängnis zu bringen, wäre es beinahe zur Lynchjustiz gekommen. Beim anschließenden Prozeß wurde Wilhelm Rosenbaum von aller Schuld frei gesprochen und lebte bis 1933 relativ unbehelligt weiter in Memmingen. Kaum waren die Nationalsozialisten an der Macht, steckten sie den verhassten Mann in das KZ Dachau. Nach einigen Wochen konnte er zwar befreit werden, musste aber mit seiner Frau und den drei halbwüchsigen Töchtern aus Deutschland fliehen.