Flucht, Exil, Lager – und der Traum von der Heimkehr
Hedwig Kämpfer (23.1.1889 – 7.1.1947)
Frauen und Politik in der Weimarer Zeit (Porträt-Serie) In: Maximilianeum, Beilage der Bayerischen Staatszeitung, Nr. 6, Jg. 15 Juni 2003
Revolution in München: Spannende, aufwühlende Zeiten, besonders für diejenigen jungen Menschen, die mit großem Idealismus versuchten mitzuhelfen, eine neue, gerechtere Gesellschaft zu schaffen. Der erste Weltkrieg war vorbei, die Monarchie zusammengebrochen, jetzt schien die Stunde der fortschrittlichen Kräfte zu schlagen, die schon lange gegen das verkrustete System, die patriarchalen Strukturen gekämpft hatten. Und Hedwig Kämpfer (Nomen est omen) war mitten unter ihnen. Die 1889 als Münchner Bäckerstochter geborene Hedwig Nibler hatte 1917 den Journalisten Richard Kämpfer geheiratet. Gemeinsam waren sie der USDP beigetreten, als diese sich 1917 von der SPD abgespalten hatte. Felix Fechenbach, enger Mitarbeiter von Kurt Eisner, zählte zu ihren Freunden. Sie waren wohl alle zusammen auch bei der entscheidenden Demonstration auf der Theresienwiese am 7. November 1918, die zur Ausrufung des „Freistaats Bayern“ geführt hatte. Auch im Provisorischen Nationalrat war das Ehepaar Kämpfer gemeinsam vertreten, er für den Landessoldatenrat, sie für den Landesarbeiterrat. Hedwig Kämpfer war außerdem Richterin im Revolutionstribunal sowie Mitbegründerin vom „Bund sozialistischer Frauen“. Sowohl als Richterin („Dass dieses Revolutionstribunal kein Todesurteil aussprach, war ausschließlich auf die Frauen zurückzuführen, die sofort, nachdem es zusammentrat, als erstes die Forderung erhoben: ‚Todesurteile werden nicht verhängt’“, so die Zeitzeugin Heymann), als auch in ihrem Verband hatte sie immer wieder versucht, mäßigend zu wirken, besonders als die Ereignisse nach Ermordung Kurt Eisners und Ausrufung der Räterepublik im Frühling 1919 eskalierten. Zusammen mit anderen Frauen wie Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann versuchte sie, zwischen weißen und roten Truppen zu vermitteln, einen drohenden Bürgerkrieg zu verhindern, leider ohne Erfolg. Am 1. Mai 1919 und danach kam es in München zu einem Blutbad. Mehrere hundert Menschen verloren bei den Kämpfen und danach durch standrechtliche Erschießungen bei der Eroberung der Stadt ihr Leben. Unzählige Menschen landeten in den Gefängnissen, so auch Hedwig Kämpfer.
Die Kommunalwahlen vom Juni 1919, bei der die USDP sehr gut abschnitt und die 30jährige Redakteursgattin in den Münchner Stadtrat gewählt wurde, sorgten für ihre Entlassung aus Stadelheim. Über die nachfolgenden Jahre bis zu Beginn des „Dritten Reichs“ gibt es dann wieder große biographische Lücken. Hedwig Kämpfer saß wohl bis 1924 weiterhin im Stadtrat, sie bekam irgendwann eine Tochter Anneliese, viel mehr ist über diese Zeit nicht bekannt. Dann brachten die neuen politischen Verhältnisse einschneidende Änderungen. Richard Kämpfer musste nicht nur wegen seiner politischen Vergangenheit, sondern auch wegen seiner jüdischen Herkunft Hals über Kopf das Land verlassen, die Tochter folgte kurz danach, nur Hedwig blieb und versuchte zu retten, was zu retten war. 1935 war die Familie in Paris wieder vereint, lebte aber unter äußerst schwierigen Umständen, die die Ehe stark belasteten. Mann und Tochter emigrierten weiter in die USA, die herzkranke Hedwig hielt sich in Frankreich mit Putzarbeiten über Wasser. Kurz nach Besetzung Frankreichs durch die Deutschen wurde sie – wie viele andere deutsche Frauen – im Mai 1940 in das Sammellager Gurs deportiert. Dort, nur 30 km von der spanischen Grenze entfernt, verbrachte sie die nächsten drei Jahre unter schlimmsten Bedingungen. Eine Massenerkrankung an Ruhr hatte sie mit knapper Not überstanden. Um wieder zu Kräften zu kommen, bat sie ihre Freundinnen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann um Hilfe, die selber äußerst bescheiden im Exil in der Schweiz lebten. Dennoch gelang es den beiden, ihr Geld zu senden und somit Lebensmitteleinkäufe zu ermöglich, die Hedwig Kämpfer wiederum in Suppe für alle umwandelte, ihre berühmte und legendäre „Kämpfersuppe“.
1943 kam Hedwig Kämpfer in das Flüchtlingslager Bégué, in dem günstigere Lebensbedingungen herrschten. Dort erlebte sie wohl auch das Kriegsende und kehrte anschließend nach Paris zurück. Im April 1946 schrieb sie ihrem Bruder Hans nach München: „Endlich, endlich kann man sich wieder schreiben. Ich möchte gern heim, aber ich soll erst zur endgültigen Erholung nach der Schweiz. Mein Herz ist ja viel besser, aber arbeitsfähig bin ich noch nicht. Ich wohne billig bei Münchner Freunden (1918 USP!), esse mit am Tisch, habe Unterstützung und gute Freunde.“ Die Sehnsucht nach ihrer Familie und der Heimatstadt muß dennoch groß gewesen sein, vehement betrieb die nunmehr 57jährige ihre Rückkehr. Nach großen bürokratischen Schwierigkeiten waren Anfang 1947 endlich ihre Papiere vollständig, die Abreise stand unmittelbar bevor. Hedwig Kämpfer erlebte sie nicht mehr. Ein defekter Gasofen in der Küche, neben den sie sich wärmesuchend gelegt hatte, machte den Traum von der Heimkehr zunichte.