In der "Raubtierwelt" der Trümmerzeit.
Jugendliche im Zonendeutschland 1945-1949
in: Parigger Harald et al. (Hg.), "Schön ist die Jugendzeit…?" Das Leben junger Leute in Bayern 1899-2001, Augsburg 1994, S. 63-65.
Zehntausende von Kindern und Jugendlichen, die durch den Krieg ihre Eltern, Verwandte, Freunde und die Heimat verloren hatten, vagabundierten in der Trümmerzeit quer durch die Westzonen auf der Suche nach Unterkunft, Essen und ein bißchen Geborgenheit. Manche schlossen sich auch Gruppen von Gleichaltrigen an und versuchten im Schutz der Gemeinschaft, ihren Anteil bei illegalen Schiebereien, Schwarzmarktgeschäften und Diebstählen zu ergattern. Symptomatisch ist wohl die Geschichte der Münchner "Pantherbande": 1943 als Volksschüler evakuiert, wuchsen sie zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammen, wurden in den letzten Kriegswochen zu Flakhelfern ausgebildet und erlernten so den Umgang mit der Schußwaffe. Nach Ende des Krieges "rächten" sie sich an den Siegern durch Diebstähle in den amerikanischen Militärdepots und gingen im November 1946 ganz zum organisierten Verbrechen über, bis ihnen 1951 das Handwerk gelegt wurde.
Fast täglich brachten die Zeitungen damals Berichte über Kinder und Jugendliche, die straffällig geworden waren – nicht selten unter Anstiftung ihrer eigenen Eltern und Verwandten. Extreme Zeiten schienen auch extreme Maßnahmen zu erfordern. Die katastrophalen Zustände in den Ruinenstädten der Trümmerzeit, der allgegenwärtige Mangel an Wohnung, Nahrung, Kleidung, Heizung brachte viele Menschen in Deutschland an den Rand der Verzweiflung. Der Kampf ums nackte Überleben konnte oft nur gewonnen werden, wenn bisherige Vorstellungen von Recht und Ordnung umgangen wurden. So waren Schwarzmarktgeschäfte und Plünderungen von Kohle- und Lebensmittellagern beispielsweise typisch für eine eigene "Überlebensmoral" der Trümmerzeit. Von der "klassenlosen Klau-Gesellschaft", (so der Schriftsteller Heinrich Böll), wurden also gewisse, eigentlich kriminelle Handlungen bagatellisiert und sogar für legitim gehalten. An solchen illegalen Aktionen waren häufig auch Kinder und Jugendliche beteiligt, weil sie sich dabei meist sehr geschickt anstellten. Außerdem hatten sie größere Chancen, nicht erwischt zu werden, weil sie nicht so stark kontrolliert wurden wie die Erwachsenen.