2.7.1706
Verbrennung von Kimpa Vita, der afrikanischen Jeanne d'Arc
Wer kennt sie nicht, Jeanne d'Arc, die legendäre Jungfrau von Orléans und französische Nationalheldin? Geheimnisvolle Stimmen hatten sie davon überzeugt, das Land von den Engländern befreien zu müssen. Unter ihrer Führung gelang es dem französischen Heer, eine entscheidende Schlacht bei Orléans gegen die fremden Eindringlinge zu schlagen. Man lohnte es ihr schlecht: 1431 wurde sie als Ketzerin auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Wer aber kennt Kimpa Vita, die afrikanische Jeanne d'Arc, die sich knapp drei Jahrhunderte später im Kongo durch ähnlich mysteriöse Erscheinungen berufen fühlte, ihr Volk von fremden Eindringlingen, nämlich den Portugiesen, zu befreien? Auch sie bezahlte diese frevelhafte Einmischung in die Staatsgeschäfte machtgieriger Potentaten mit dem Leben: genau 275 Jahre später, nämlich am 2. Juli 1706, wurde auch sie als Ketzerin verbrannt. Ihr ganzes Leben lang hatte die junge Adelige Dona Beatrice, so der Taufname Kimpa Vitas, nichts anderes gekannt als Kampf und Zerstörung. Seit Jahrzehnten tobte nun schon ein Bürgerkrieg, nicht zuletzt geschürt durch intrigante weiße Abenteurer und Glücksritter, die in diesem Durcheinander umso besser ihr eigenes Süppchen kochen konnten. Seit der Entdeckung des Königreichs 1482 waren nämlich immer mehr dieser weißen Blutsauger ins Land geströmt, hatten es immer unverschämter ausgebeutet. Allein aus dem Kongo sollen bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts 5 Millionen Sklaven "exportiert" worden sein. Das Volk war demoralisiert, das Land verwüstet. Die ehemalige Hauptstadt San Salvador, der einst so stolze Königssitz, glich mittlerweile einem entvölkerten Ruinenhaufen.
Da schlug Ende des 17. Jahrhunderts die Stunde der Rettung. Der Heilige Antonius griff ein. Er half Kimpa Vita eine tödliche Krankheit zu überstehen, dafür sollte sie ihrem Volk helfen, die tödlichen Kämpfe einzustellen. Die junge Frau machte ihre Aufgabe sehr gut. In mitreißenden Reden beschwor sie die alten, glanzvollen Zeiten des Königreichs und baute als dessen Symbol, zusammen mit ihren Anhängern, die alte Königsstadt San Salvador wieder auf. Auch das Christentum, das die Missionare ihnen angeblich völlig falsch beigebracht hatten, bedurfte ihrer Meinung nach einiger Reformen. Aus Jesus und vielen Heiligen wurden Schwarze, alte Traditionen und Wertvorstellungen wurden integriert, kurz: man afrikanisierte das Christentum einfach. Jenseitige Heilsbotschaften wurden nun sehr diesseitig verstanden. Durch entsprechende Lebensweisen sollte das neue Reich kommen, und Kimpa Vita bzw. der Heilige Antonius waren sein Prophet. Bald hatte die sektenartige Bewegung großen Erfolg. Kimpa Vita schien den Nerv der Bevölkerung getroffen zu haben. Scharenweise liefen die Eingeborenen über zu den Antoniern und warteten nur darauf, die weißen Eindringlinge mitsamt den Missionaren verjagen zu können. Das ganze Land war in Aufruhr. Beinahe hätte diese schwarze Heldin die Befreiung von den Weißen erreicht, zwei Jahrhunderte bevor ähnliche Befreiungsbewegungen auf dem afrikanischen Kontinent überhaupt erst Erfolge zu verzeichnen hatten. Für die weißen Missionare jedenfalls waren schlechte Zeiten angebrochen, wie einer von ihnen deprimiert nach Hause berichtete: "Wir erhielten unzählige Beleidigungen, Spott und Schläge von den Ketzern. Die ganze Bevölkerung entlang unserer mehrtägigen Missionsreise war pervertiert, keiner ließ sein Kind taufen. Sobald sie uns nur sahen, riefen sie: 'Jesus und Maria', als ob sie den Teufel gesehen hätten und baten um Erbarmen für ihren falschen Antonius, falls er uns je in die Hände fiele". Die Eingeborenen kannten ihre Missionare anscheinend gut. Als Kimpa Vita durch einen dummen Zufall ihren Feinden tatsächlich in die Hände fiel, setzte der Hofmissionar des Königs alles daran, daß sie ihr ketzerisches Unwesen nicht weiter betreiben konnte. Für ihn war die Frau schlichtweg vom Dämon besessen, der nun um jeden Preis zu vernichten sei. Und deshalb mußte Kimpa Vita schließlich auf dem Scheiterhaufen ihr Leben lassen. Doch in den Köpfen ihres Volkes lebt auch sie heute noch weiter als Nationalheldin und afrikanische Jeanne d'Arc. 3 Jahren Abwesenheit, auch noch in einer fremden Kultur, gab es nun viel nachzuholen. Sie stürzte sich ins gesellschaftliche Leben Wiens, nahm Klavierstunden beim Liszt-Schüler Eugen d’Albert, verkehrte in der höchsten Gesellschaft und in Künstlerkreisen, wo sie die zweite große Liebe ihres Lebens traf, einen 15 Jahre jüngeren russischen Emigranten und ehemaligen Offizier des Zaren. Die beiden zogen Anfang der Zwanziger Jahre nach Berlin und verdienten sich ihren Lebensunterhalt als Statisten beim Film. In den Dreißiger Jahren gehörte das exzentrische Paar zum inneren Kreis eines dubiosen Zirkels von Nazibonzen, Adeligen und Filmleuten, der 1934 als angeblicher Spionagering aufflog. Zwei ihrer Freundinnen wurden hingerichtet; Djavidan und ihr russischer Offizier gingen wieder zurück nach Österreich. Im Laufe der vierziger Jahre verarmten die beiden völlig. Die "Königin vom Nil", die nach dem ersten Weltkrieg noch Opernpremieren finanzieren konnte, hatte nach dem zweiten Weltkrieg nicht einmal mehr genug zu essen. Aus Hunger brach sie auf offener Straße zusammen und mußte in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Dadurch wurde die Presse auf sie aufmerksam und ihre Geschichte stand in allen Zeitungen. Djavidan bekam das Angebot, ihre Erinnerungen zu veröffentlichen und so wieder zu Geld zu kommen. Anfang der Fünfziger Jahre machte Djavidan auch noch eine kleine Erbschaft, wovon sie und ihr russischer Freund bescheiden leben konnten. Die intelligente und wortgewandte Frau war bis zu ihrem Tod im Jahre 1968 schöpferisch tätig. Sie schrieb Hörspiele für den Rundfunk, malte Bilder und machte Musik. Ihre Memoiren, in denen sie sich auch kenntnisreich mit der Institution Harem und der Rolle der Frau in der islamischen Gesellschaft auseinandersetzte, sind nicht zuletzt wegen der scharfzüngigen und bildhaften Ausdrucksweise bis heute lesenswert.