Tag des abgerissenen Knopfes

1.9.1936
Tag des abgerissenen Knopfes

Hätte der Vorschlag des Berliner Tagblatts Gnade vor Goebbels Ohren gefunden, so würden wir den 1. September als Tag des Mannes feiern. Als "Tag des abgerissenen Knopfes" hätte er alle Ehefrauen dazu verpflichtet, endlich die gschlamperten Verhältnisse der Männer wieder in Ordnung zu bringen. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: sie hätten sich an jenem Tag halt um die Kleidung ihrer Männern kümmern sollen, also zum Beispiel nachschauen, ob keine Knöpfe fehlen und gegebenenfalls annähen. Auf einer Pressekonferenz am 29. August 1936 kam der Vorschlag zwar zu einer kurzen Erwähnung. Doch das Propagandaministerium unter Leitung von Joseph Goebbels stellte nur lapidar fest, "daß man für solche und ähnliche Scherze wenig Verständnis habe und daß die Presse solche Dinge unterlassen müsse".
A propos Propagandaministerium: fast genau ein Jahr später sind auf einer ähnlichen Pressekonferenz die Journalisten heftig dafür getadelt worden, daß sie das Wort "Propaganda" immer in so negativen Bedeutungen gebrauchen würden wie "Lügenpropaganda" oder "propagandistische Verdrehungen". In einem Land, das ein eigenes Propagandaministerium besitzt, kann das Wort unmöglich negativ gebraucht werden! Dafür sollen doch zukünftig bitte schön andere Begriffe herhalten, wie z.B. … Agitation. Genau, sehr gut, die Kommunisten nennen ihre entsprechende Institutionen ja auch Agitbüros. Und wenn wir schon beim oberflächlichen Sprachgebrauch sind, wie ist es denn mit dem Vandalismus? Wie könne man denn nur behaupten, daß im spanischen Bürgerkrieg die Roten "WIE DIE VANDALEN" gehaust hätten?! Ausgerechnet die Vandalen, ein so hochkultivierter und vor allem rein germanischer Volksstamm! Tag für Tag, später sogar zweimal täglich, wurden im Dritten Reich solche Direktiven auf den Pressekonferenzen in Berlin den gehorsamen Journalisten zwingend mitgeteilt. Nichts wurde ausgelassen, nichts blieb unkommentiert, nichts war so unwichtig, um nicht rezensiert zu werden. Beispielsweise habe die Zeitschrift "Der deutsche Tierfreund" im Juni 1936 gemeldet, daß Liechtenstein die beste Tierschutz-Gesetzgebung habe. Dabei war doch gerade die nationalsozialistische Tierschutzgesetzgebung bahnbrechend, man habe also keinen Anlaß, Liechtenstein besonders hervorzuheben. Und wenn ein Tag wie der 1. Mai nun endlich kein destruktiver Kampftag mehr sei wie zuvor, sondern unter dem schönen Motto stünde "Freut euch des Lebens", dann ist es doch unmöglich, wenn an einem solchen Tag so negative Meldungen wie Selbstmorde oder ähnliches gebracht würden. Pikanter waren Anlässe zur Rüge bezüglich der nationalsozialistischen Machthaber selbst: völlig fehl am Platze wären wohl Fotos von gesellschaftlichen Ereignissen, auf denen gedeckte Tische mit vielen "Flaschen" und Gläsern zu sehen seien. Selbst harmlose Wasserflaschen würden dann oft ausschauen wie Sektflaschen. Dabei sollte doch bekannt sein, daß ein großer Teil der Mitglieder der Regierung Antialkoholiker seien. Ähnliches bei Bildern von der Privatsphäre der führenden Persönlichkeiten: es gehe einfach nicht an, daß durch geschicktes Fotografieren von Sofa- oder Bücherecken der Eindruck erweckt würde, hier handele es sich um eine Luxuswohnung oder einen Prunkpalast! Mit anderen Worten: Kein Anlaß war zu trivial, keine Meldung zu geringfügig, um im allmächtigen Propagandaministerium nicht beachtet zu werden. Und andererseits wurden auch die unwichtigsten nationalsozialistischen Ereignisse mit bombastischen Bezeichnungen belegt, so daß der eigentlich eher verdächtig ridiküle Vorschlag eines "Tags des abgerissenen Knopfes" gar nicht mehr so abwegig erscheint.