Maitanz

Kultur-Programm zum Tanz in den Mai

Georg-von-Vollmar-Haus München am 1. Mai 2004

La Lega (um 1900 aus Norditalien)
Se ben che siamo donne, paura non abbiamo…
… Oli oli ola, ed la lega crescerà, ed noi altri lavoratori vogliam la libertà.

Wir haben begonnen mit einem Stück, das Anfang des 20. Jahrhunderts entstand als Widerstandslied italienischer Reisbäuerinnen und mittlerweile fast zu einer Hymne geworden ist: La Lega. Es geht weiter mit einem Song aus der amerikanischen Frauenbewegung „Bread and roses“ – Brot und Rosen. Und dazwischen hören Sie Texte des Schriftstellers und Theaterleiters Ivan Nagel zur aktuellen Lage und zur Politik der sog. Sozialreformen (vor allem die Hartz-Kommission), über die er sich sehr geärgert hat, denn es sei die „schroffste Veränderung unserer Gesellschaft, die der Bundesrepublik Deutschland in 50 Jahren zugemutet worden ist“.

„Das Falschwörterbuch der Sozialreformen muß mit dem Wort ‚Sozialreform’ beginnen. Man stelle sich einen Wirtschaftsminister vor, der zwischen Schmerz und Stolz verkündet, er habe wegen Sparzwängen das Gehalt seiner Sekretärin ‚reformiert’. Die Wirtschaft dürfte diese feinsinnige Formulierung begrüßen.“ (Ivan Nagel)

Brot und Rosen (1912) / Text: James Oppenheim, dt. Peter Maiwald / 
Musik: Renate Fresow, Chorsatz: Erwin Jedamus 

Wenn wir zusammen gehen, geht mit uns ein schöner Tag…
… Zu Ende sei, daß kleine Leute schuften für die Großen. 
Her mit dem ganzen Leben, Brot und Rosen.

„Es empfiehlt sich, die beiden Ur-Falschwörter der deutschen Wirtschaftslehre näher zu betrachten. Wer seine Arbeit hergibt, heißt bei uns ‚Arbeitnehmer’ – wer sie nimmt ‚Arbeitgeber’. Diese Urlüge stammt noch aus dem 19. Jahrhundert. Sie entstand nach dem Weberaufstand von 1844 und wurde in Bismarcks Sozialgesetze übernommen. Auch diese Sinnwidrigkeit hatte dazumal ihren guten, bösen Sinn: Der Unternehmer stellte die Arbeit als seine gnädige Gabe hin; der Arbeiter nahm das Geschenk dankend entgegen, wissend, dass seine Arbeit ihm nicht gehört – weshalb das Schenken jederzeit eingestellt werden konnte.“ (Ivan Nagel)

Lob des Lernens (1932)
Text: Bertolt Brecht / Musik: Hanns Eisler 

Lerne das Einfachste! Für die, deren Zeit gekommen ist, ist es nie zu spät! …
… Du musst die Führung übernehmen!

„Zu Kohls Zeiten konnte man fast stolz sein auf die Arbeitslosigkeit: Sie war ein Begleitphänomen der heilsamen ‚Globalisierung der Marktwirtschaft’. Heute ist sie eine Folge der ‚Unbelehrbarkeit der Betonköpfe’. Gemeint sind die Gewerkschaften. Im Falschwörterbuch der Sozialreformen gehört den Gewerkschaften ein eigenes Kapitel. Sie trugen bis vor kurzem den Schimpfnamen ‚Egoisten’ – weil sie sich angeblich nur um die Arbeitenden kümmerten, nicht um die Arbeitslosen. Streiten aber Gewerkschaften neuerdings für die Arbeitslosen – dann werden sie aus ‚Egoisten’ nicht etwa zu ‚Altruisten’, sondern zu ‚Blockierern_, ‚Bremsern’, ‚Besitzstandswahrern’“. (Ivan Nagel)

Lied vom achten Elefanten
Text: Bertolt Brecht (1940/41) / Musik: Paul Dessau (1947/48)

Sieben Elefanten hatte Herr Dschin…
… Grabt weiter! Grabt weiter! Herr Dschin hat einen Wald, 
der muss vor Nacht gerodet sein und Nacht ist jetzt schon bald!

„In Bushs Amerika ist in vollem Gang, was für unsere bessere Zukunft befürwortet und umbenannt wird: 
– Kündbarkeit nach dem Prinzip hire and fire oder zu deutsch: ‚Flexibilisierung des Arbeitsplatzes’
– Senkung der social security unter das Existenzminimum oder zu deutsch: ‚Leistungskürzung für Arbeitsunwillige’. 
– Steuersenkung für Unternehmen und Unternehmer oder zu deutsch: ‚Entlastung der Investoren’
Das Ergebnis in den USA, das in keinem deutschen Medium vorkommt: höchste Arbeitslosigkeit seit acht Jahren; über eine halbe Million verlorene Arbeitsplätze allein zwischen Anfang Februar und Ende April 2003 – der rapideste Schwund in 20 Jahren.“ (Ivan Nagel)

Der Elefant Text: Bertolt Brecht / Musik: Paul Dessau
Es war einmal ein Elefant, der hatte keinen Verstand.

Drum schleppte er einmal auf Befehl
Zwanzig Bäume statt zwei und brach ein Bein dabei.
Ein Dummkopf, ein Dummkopf, meiner Seel.

Das Pferd Text: Bertolt Brecht / Musik: Paul Dessau
Es war einmal ein Pferd, das war nicht sehr viel wert.
Für das Rennen war es zu dumm. Vor den Wagen gespannt fiel es um.
Da wurde es Politiker. Es ist jetzt hochgeehrt.

„Was haben das Falschwörtergetöse zur Vorbereitung des Irak-Kriegs mit dem Falschwörterbuch der Sozialreformen zu tun? Dort hieß der Alleingang Amerikas ‚Bündnis der Willigen’. Hier heißt die Belastung der Armen ‚Eigenverantwortung’, die Kürzung der Arbeitslosenhilfe heißt ‚Anreiz für Wachstum’. Das Interesse der USA an Desinformation hält sich die Waage mit dem Interesse der Wirtschaft, Nachdenken über sie zu erschweren. Dass die Falschwörter der Sozialpropaganda sich aber allmählich noch dichter ballen als die der Kriegspropaganda, kann nur eines bedeuten: Der einheimische Streit in der eigenen Gesellschaft ist den Wortfabrikanten hier wichtiger, als wenn, laut Goethe, ‚weit hinten die Völker aufeinander schlagen’.“ (Ivan Nagel)

Johnny I hardly knew you 
traditionelle Volksweise, Chorsatz von Ferdinand Silhanek 

When going the road to sweet Athy, haroo! Haroo!…
… Oh why did you skedaddle from me and the child
Faith Johnny I hardly knew you.

„Der neoliberale Fortschritt, genannt ‚Belebung des Wachstums’, verlangt es, die Kluft zwischen Reich und Arm zu vergrößern. Die Kluft zwischen Viel und Wenig wird am dichtesten mit Falschwörtern umstellt. ‚Reich’ und ‚Arm’ dürfen öffentlich nicht gesprochen, nicht geschrieben werden. Der Ersatz-Terminus heißt ‚Besserverdienende’. Er verrät sich als Lügenprägung dadurch, dass er seinen Gegenbegriff ausschließt. ‚Schlechterverdienende’ gibt es nicht: Armut soll weder als Faktum der Gegenwart noch als Bedrohung der Zukunft wahrgenommen werden. Jetzt und in den nächsten Jahren wird es vor allem auf zwei Fragen ankommen: Mit wie viel Spaltung zwischen Reich und Arm kann eine Demokratie leben? Und: Wie viel Desinformation des Volkes verträgt eine Demokratie, ohne dass die Volks-Herrschaft daran zugrunde geht?“ (Ivan Nagel)

Lob der Dialektik (1932)
Text: Bertolt Brecht / Musik: Hanns Eisler

Wer noch lebt, sage nie: Niemals… 
… Und aus „niemals“ wird „heute noch“

Zum Schluß noch ein Zitat von Heribert Prantl, Journalist der Süddeutschen Zeitung, der vor einigen Wochen über die katastrophalen Folgen einer unsolidarischen Gesellschaft folgendes geschrieben hat: „ ‚Eigentum verpflichtet…’ Die neue ökonomische Lehre hat diese zwei Wörter des Artikels 14, Absatz 2 Grundgesetz stillschweigend so ergänzt: ‚…zu nichts! – außer zur Eigentumsvermehrung und zur Gewinnmaximierung.’ Das Wort ‚Humankapital’ ist der rohe Ausdruck solchen Denkens. Die Massenentlassungen sind ihr Produkt. Eigentum verpflichtet – das bedeutet aber zum Beispiel, ein Unternehmen nicht als bloße Geldmaschine zu betrachten, sondern auch als Gemeinschaft arbeitender Menschen. Das Sozialstaatsprinzip ist im Grundgesetz verankert. Es gehört zu den zentralen Ordnungsprinzipien, über die Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz sagt: ‚Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist’.“

Solidaritätslied (1931)
Text: Bertolt Brecht / Musik: Hanns Eisler

Vorwärts und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht…
… Wessen Morgen ist der Morgen? Wessen Welt ist die Welt?