Bayerische Landtagswahlen

12.1.1919
Bayrische Landtagswahlen, erstmals unter Beteiligung von Frauen

"Unnütze, wilde Weiber", "Furien und Schlangen", "schnatternde Gänse", "pazifistische Friedenshyänen", "Halbweltdämchen", die man nicht einmal "Dirnen" schimpfen könne, weil das ja eine Beleidigung für die echten Dirnen sei – ja, was hatten sie denn angestellt, die Frauenrechtlerinnen, die solchermaßen in aller Öffentlichkeit beschimpft wurden? Sie hatten sich endlich das Wahlrecht erstritten und mischten sich nun dauernd in politische Angelegenheiten ein. Bis 1918 war die politische Entscheidungsfindung eine reine Männerdomäne gewesen, und das seit Jahrhunderten. Umso empfindlicher reagierte nun die männliche Öffentlichkeit auf die weiblichen Mitbestimmungsversuche.
Dabei hatten die Frauen allen Grund sich aufzuregen, waren ihre Zukunftsperspektiven doch äußerst eingeschränkt. Eine Frau hatte zu heiraten und Kinder zu kriegen, wenn sie sich nicht ihr Leben lang im elterlichen Haushalt bevormunden lassen wollte. Obwohl ohne ihren tatkräftigen Einsatz in allen Arbeitsbereichen die Wirtschaft während des Weltkriegs zusammengebrochen wäre, hielt man arbeitende Frauen immer noch nicht für gesellschaftsfähig. Entweder sie waren arm und hatten es nötig zu arbeiten oder sie wollten sich nicht mit den geltenden Normen abfinden und eine Familie gründen, und das war genauso verdächtig. Selbständige Frauen gab es praktisch nur in Künstlerkreisen, wo man es mit dem "guten Ruf" nicht so genau nahm. Auch die Möglichkeit, einen qualifizierten Beruf zu erlernen und somit eine bessere Bezahlung zu erreichen, blieb beschränkt, ganz zu schweigen von den unzumutbaren Arbeitsbedingungen und dem minimalen Schutz vor allem für Schwangere und Mütter. Besonders schlecht angesehen waren verheiratete, erwerbstätige Frauen, denn sie waren als Lohndrücker und unnütze Konkurrentinnen der Männer verschrieen. Und geistig traute man ihnen auch nicht sehr viel zu, konnten sie doch nur unter schwierigsten Bedingungen Abitur machen und studieren. Das waren jetzt nur ein paar wenige der vielen "kleinen Unterschiede", die sich im Lauf der Zeit zu eklatanten Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen summiert hatten. Die soziale Lage der Frau war zu einem ernstzunehmenden Problem geworden.

Als die Frauen dann im November 1918 mit Erhalt des Stimmrechts auf einen Schlag eine mächtige Interessensgruppe geworden waren, immerhin stellten sie nun über die Hälfte der Wahlberechtigten, sahen viele der alten Kämpferinnen ihre Zeit gekommen. Eine neue, eine bessere Gesellschaft sollte entstehen. Alles schien offen und möglich, wenn die Frauen nur zusammenhielten. Weibliches Gerechtigkeitsempfinden und soziale Mütterlichkeit würden endlich Schluß machen mit dem männlichen Machtstreben und dem Zank um kleinliche Parteieninteressen, mit dem Nationalismus und vor allem mit dem so Verderbnis bringenden Militarismus. Mit ungeheurer Euphorie warfen sich die politisch engagierten Frauen in den kurzen, zweimonatigen Wahlkampf, versuchten ihre Geschlechtsgenossinnen politisch zu schulen und aufzuklären, auf daß sie sich ihres Stimmrechts als mündig erweisen sollten. Immer wieder sprachen sie in feurigen Reden vor allem von der Doppelt- und Dreifachbelastung von Frauen bei gleichzeitiger minimaler Anerkennung, und immer wieder wurden sie von den Zuhörerinnen bei den Wahlveranstaltungen jubelnd bestätigt. Umso herber war dann die Enttäuschung, als das Ergebnis der ersten Wahlen unter weiblicher Beteiligung bekannt wurde. Bei den Landtagswahlen in Bayern am 12. Januar 1919 war nicht etwa der Einsatz der Linken für die Rechte der Frauen belohnt worden. Die meisten Wählerinnen gingen keine Experimente ein und hielten sich lieber an Altbewährtes; das bestätigte sich auch eine Woche später, am 19.1.1919, bei den Wahlen zum Reichstag. Dank der weiblichen Beteiligung ging als großer Gewinner die christlich-konservative Bayrische Volkspartei hervor, wahrlich keine Partei, die sich die Gleichberechtigung der Frauen aufs Banner geschrieben hat.