90 Jahre Räterevolution in München
Musikprogramm am 12.3.2009 in der Seidl-Villa München
Brot und Rosen (1912) / Text: James Oppenheim, dt. Peter Maiwald /
Musik: Renate Fresow, Chorsatz: Erwin Jedamus
Mägde am Sonnabend (aus den „Galgenliedern“ von 1905)
Text: Christian Morgenstern / Musik: Ferdinand Silhanek (2007)
Der zerrissene Rock (1931)
Text: Bertolt Brecht / Musik: Hanns Eisler
Lied vom Trockenbrot (1929)
Text: Walter Mehring / Musik: Hanns Eisler
Hymnus auf die Bankiers
Text: Erich Kästner (1929) / Musik: Heinrich Herlyn (2008)
Lesung: "Hysterische Furien und schnatternde Gänse"
Die ersten Frauen im Bayerischen Landtag (1918-1933)
Von Karin Sommer
Schtill, die Nacht is ojsgesternt (ca. 1944)
Text und Musik: Hirsch Glik
Ballade von der „Judenhure“ Marie Sanders (1934)
Text: Bertolt Brecht / Musik: Hanns Eisler
Und was bekam des Soldaten Weib? (1942)
Text: Bertolt Brecht / Musik: Kurt Weill
Haifisch-Hymne
Text: Bertolt Brecht (1928) / Musik: Joseph Haydn (1797) / Chorfassung: Stephan Schindlbeck
Die Zeit ist knapp
Text: Kollektiv Rote Rübe (1974) / Musik: Ferdinand Silhanek (2007)
Heute Abend dreht sich alles um die ersten Frauen im Bayerischen Landtag. Denn über die Räterevolution ist vor 90 Jahren das Frauenwahlrecht erstmals eingeführt worden in Bayern und in Deutschland. Aber von nix kommt nix, dass es überhaupt möglich wurde, dafür haben vorher viele engagierte Frauen jahrzehntelang gekämpft. Wir wollen Sie zunächst mit fünf Liedern musikalisch einstimmen auf diese Zeit kurz vor und nach der Räterevolution, dann gibt es eine halbstündige Lesung und abschließend wieder fünf Lieder darüber, wie es hinterher weiter ging.
Wer wissen will, warum wir heute da stehen, wo wir sind, der oder die muß sich in die Geschichte begeben, zu den Anfängen der Frauenemanzipation um die letzte Jahrhundertwende, woher auch die ersten beiden Lieder stammen. Wir beginnen mit DEM Klassiker der Frauenbewegung „Brot und Rosen“, ein Lied, das um 1912 bei den großen Streiks der Textilarbeiterinnen in den USA entstand. Danach kommen wir nach Deutschland und der Schilderung eines eher passiven Widerstands, wenn wir den „Mägden am Sonnabend“ beim Teppichklopfen zuhören, übrigens ein Text von Christian Morgenstern.
Brot und Rosen (1912) / Text: James Oppenheim, dt. Peter Maiwald /
Musik: Renate Fresow, Chorsatz: Erwin Jedamus
Wenn wir zusammen gehen, geht mit uns ein schöner Tag…
… Zu Ende sei, daß kleine Leute schuften für die Großen.
Her mit dem ganzen Leben, Brot und Rosen.
Mägde am Sonnabend (aus den „Galgenliedern“ von 1905)
Text: Christian Morgenstern / Musik: Ferdinand Silhanek (2007)
Sie hängen sie an die Leiste, die Teppiche klein und groß….
… Die Läufer, die Perserkissen und die dicken deutschen Plumeaus.
Die Kämpfe der Frauen um gleiche Rechte und politische Mitsprache wurden durch den ersten Weltkrieg rigoros unterbrochen. Aber als nach vier Jahren Töten und Getötet werden in Deutschland und Bayern die Revolution ausbrach, kam in dieser Sache auf einmal wieder frischer Wind auf. Frauen und Männer waren seit November 1918 endlich gleichberechtigt – zumindest auf dem Papier, und die Frauen bekamen das aktive und passive Wahlrecht. Eine ungeheuere Euphorie erfasste damals viele der politisch engagierten Frauen. Alles schien möglich, doch die Realität sah sehr schnell ganz anders aus. Die Männer ließen sich die Macht nicht so leicht aus den Händen nehmen. Und im Alltag verschlechterte sich im Laufe der Weimarer Republik die Situation der kleinen Leute von Jahr zu Jahr. Es folgen drei Lieder als musikalische Schlaglichter auf die sogenannten „Goldenen 20er Jahre“.
Der zerrissene Rock
Text: Bertolt Brecht / Musik: Hanns Eisler
Immer wenn euer Rock zerfetzt ist, kommt ihr gelaufen
Und sagt, so geht das nicht weiter….
…. So, das ist was wir brauchen! Aber was bietet ihr uns an?
Lied vom Trockenbrot
Text: Walter Mehring / Musik: Hanns Eisler
Wer arbeit muß auch essen und weil er essen muß,
das macht das Esen so teuer, dass er mehr arbeiten muß….
… Kein Ende und kein Anfang, immer an der Wand lang,
dahinter liegt das Geld.
Hymnus auf die Bankiers
Text: Erich Kästner / Musik: Heinrich Herlyn (2008)
Ein jeder macht einmal bankrott. Ach, Gott!…
… Sie haben nur eine Sympathie, sie leben das Geld und das Geld liebt sie.
Doch einmal macht jeder bankrott. Da hilft kein Gott!
(Ja wer denn dann?)
Lesung
"Hysterische Furien und schnatternde Gänse"
Die ersten Politikerinnen im bayerischen Landtag (1918-1933).
Stellen wir uns einmal vor, was passiert wäre, wenn die Revolution von 1918/1919 erfolgreich gewesen wäre, wenn all die hochinteressanten gesellschaftlichen und künstlerischen Entwicklungen, die alternativen Lebensentwürfe, die Reformbewegung der 1920er Jahre, auch politisch unterstützt worden wären. Wir waren so nah dran an einem neuen, wirklich humanen Gesellschaftsmodell. Stattdessen wurden all diese viel versprechenden Entwicklungen brutal abgeschnitten durch die NS-Zeit und konnten sich erst wieder in der Zeit der 68er Bewegung ähnlich kreativ entfalten.
Wir beginnen den zweiten Teil unseres musikalischen Programms mit drei Liedern aus der Zeit des Faschismus, die Frauenschicksale beschreiben, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Das erste Lied ist etwas erklärungsbedürftig, weil es ein jiddisches Partisanenlied ist. Da geht es um eine junge Frau, die mit einem einzigen Schuß ihrer Pistole einen Waffentransport der Deutschen in die Luft jagt und so ihren Leuten Hoffnung gibt auf eine neue Zukunft in Freiheit.
Schtill, die Nacht is ojsgesternt
Text und Musik: Hirsch Glik (ca. 1944)
Schtil, die nacht is ojsgeschternt
Un der frost hat schtark gebrent…
… Gemutikt fun klejninkn mit sochn,
Far undser najem, frajen dor.
Ballade von der „Judenhure“ Marie Sanders, 1935
Text: Bertolt Brecht / Musik: Hanns Eisler
Das Fleisch schlägt auf in den Vorstädten, die Trommeln schlagen mit Macht…
… Großer Gott, wenn sie ein Ohr hätten, wüssten sie, was man mit ihnen macht.
Und was bekam des Soldaten Weib?
Text: Bertolt Brecht / Musik: Kurt Weill
Und was bekam des Soldaten Weib, aus der alten Hauptstadt Prag…
…. Aus Russenland bekam sie den Witwenschleier,
zu der Totenfeier den Witwenschleier,
das bekam sie aus Russenland.
Es gibt ein Gedicht von Erich Kästner, das er eigentlich angesichts der verheerenden Auswirkungen des I. Weltkriegs geschrieben hatte, das aber nach dem II. Weltkrieg umso aktueller war. Es heißt „Die andere Möglichkeit“ und geht, leicht gekürzt, so:
(…)
Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
dann wären wir ein stolzer Staat,
Und pressten noch in unsern Betten
Die Hände an die Hosennaht.
Die Frauen müssten Kinder werfen.
Ein Kind im Jahre. Oder Haft.
Der Staat braucht Kinder als Konserven.
Und Blut schmeckt ihm wie Himbeersaft. (…)
Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
dann wäre jedermann Soldat.
Ein Volk der Laffen und Lafetten!
Und ringsherum wär Stacheldraht!
Dann würde auf Befehl geboren,
Weil Menschen ziemlich billig sind.
Und weil man mit Kanonenrohren
Allein die Kriege nicht gewinnt.
Dann läge die Vernunft in Ketten.
Und stünde stündlich vor Gericht.
Und Kriege gäb’s wie Operetten.
Wenn wir den Krieg gewonnen hätten –
Zum Glück gewannen wir ihn nicht!
Die Haifisch-Hymne
Text: Bertolt Brecht / Musik: Joseph Haydn / Chorfassung: Stephan Schindlbeck
Und der Haifisch, der hat Zähne…
… Denn ein Haifisch ist kein Haifisch,
wenn man’s nicht beweisen kann.
Ja, da sind wir auch schon in der Bundesrepublik gelandet. War man nun nach zwei Weltkriegen und weiteren Millionen ermordeter, vertriebener, gefallener Menschen klüger geworden? Hatte man die Chance eines echten Neuanfangs der sog. Stunde Null wahrgenommen, um sich auf andere Werte zu besinnen? Keine Zeit, keine Zeit: Ärmel hochkrempeln, aufräumen, jetzt kommt das Wirtschaftswunder, was kümmert uns die Vergangenheit… Ein kollektiver Gedächtnisverlust befällt die bundesrepublikanische Gesellschaft. Und das ist unzweifelhaft ein Verdienst der momentan so heftig geschmähten 68er Generation, dass sie sich nicht einlullen ließ und mitmachte beim großen Vergessen.
Zum Wirtschaftswunder und der doch sehr einseitigen Ausrichtung auf den sogenannten Fortschritt gäbe es noch viel zu sagen. Abgekürzt nur soviel: Man liest heute wieder Marx, sein Werk „Das Kapital“ ist in, nachdem der Raubtier-Kapitalismus die Schere zwischen Reich und Arm immer schamloser auseinander klaffen lässt und die Auswirkungen der ungebremsten Globalisierung den Erdball ins Schleudern bringen. „Die Zeit ist knapp“ heißt unser letztes Lied deshalb.
Die Zeit ist knapp
Text: Kollektiv Rote Rübe (1974) / Musik: Ferdinand Silhanek (2007).
Heute noch sitzt ihr bequem in euern Häusern…
…. Wartet nicht auf bessre Zeiten,
denn von selbst kommen die nicht.
Denn von selbst kommen die nicht.