Ein musikalischer Streifzug

"Wenn’s doch endlich aufwärts ginge…"
Musikalischer Streifzug durch die Geschichte der Industrialisierung in Bayern

Musikprogramm am 1.6.2006 im Bezirk von Oberbayern / München
(ähnlich auch am 29.6.2008 im Stadtmuseum Ingolstadt)

querundwecker

 

Brüder zur Sonne, zur Freiheit (nach einer russischen Volksweise) / 1897
Instrumentalfassung (Roter Wecker)

„Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ – Ein Lied, das am Tag der Arbeit, also auf keiner 1.Mai-Feier fehlen darf. Sie haben das Lied sicherlich erkannt, auch wenn es in einer etwas ungewohnten Instrumentalfassung zu hören war. Wir wollen Sie heute mitnehmen auf eine musikalische Reise durch die Geschichte der Industrialisierung in Bayern, die immer auch eine Geschichte der „kleinen Leute“ ist. Bayern und Industrialisierung – ist das nicht ein Widerspruch in sich? Denkt man bei Bayern bis heute nicht zu allererst an Bauern, Landwirtschaft, Natur? Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein galt das Königreich tatsächlich als hinterwäldlerisches Agrarland. Doch auch hier war auf Dauer die Industrialisierung nicht aufzuhalten und verbreitete sich vor allem in den größeren Städten: so etwa in Nürnberg mit seiner „Maschinenbauanstalt“, in Augsburg mit der Textilindustrie, in München mit der Lokomotivenfabrik Maffei. In Penzberg, Miesbach und Hausham wurde nach Kohle geschürft, in der linksrheinischen Pfalz machte sich die Chemieindustrie breit. Doch die Arbeitsbedingungen in den Fabriken der frühindustriellen Zeit waren unmenschlich. In einer Bittschrift an den bayerischen König schrieben Arbeiter aus einer Augsburger Textilfabrik 1865: „Um rechtzeitig an ihrer Arbeit einzutreffen, sind die Arbeiter, die in den umliegenden Dörfern wohnen, genötigt, morgens um drei Uhr aufzustehen. Um fünf Uhr beginnt diese Arbeit und dauert bis abends sieben Uhr. Bis die Arbeiter nach Hause kommen wird es neun Uhr und bis sie zur Nacht gegessen und die Ruhestätte aufsuchen können, wird es zehn Uhr. So bleibt diesen Arbeitern, wovon die Hälfte Kinder und Weibspersonen sind, nur fünf Stunden zur nötigen Ruhe (und das an sechs Tagen die Woche)“.

Solche Bittbriefe Einzelner halfen nicht viel. Und so bildeten sich bald überall „Selbsthilfe- Gruppen“, die sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu immer stärkeren politischen Organisationen auswuchsen als Antwort auf die unzumutbaren Zustände. Sie hören nun ein Lied, das der Arbeiterführer Ferdinand Lassalle 1863 bei dem Dichter der 48er Revolution Georg Herwegh in Auftrag gegeben hat; es kann somit als erstes Lied der politisch organisierten Arbeiterbewegung in Deutschland gelten. Herwegh hat seinen Auftrag so gut erfüllt, dass das Lied danach prompt immer wieder verboten wurde.

Bundeslied: Bet und arbeit [1863]
Text: Georg Herwegh / Musik Peter Heinz 
Bet und arbeit ruft die Welt / bete kurz, denn Zeit ist Geld….
…. Brecht die Sklaverei der Not! Brot ist Freiheit, Freiheit Brot.

Wo der Hunger herrscht, herrscht die Ausweglosigkeit und wächst die Wut. Aus den Erinnerungen eines Arbeitslosen, geschrieben 1908: Mein Zorn wurde noch größer, als … von der Theresienwiese her Böllerschüsse erschollen und Raketen knatterten. Es wurde drüben ein für dreißigtausend Mark von der Stadt München gestiftetes Feuerwerk abgebrannt… Nun fühlte ich erst recht den Hunger wieder; und als ich daheim die blassen und trüben Gesichter meiner Kinder sah, überkam mich ein trotziger Groll und in dieser Stunde schwor ich, unter allen Umständen Brot und Geld zu beschaffen, gleichviel auf welche Weise und ohne Rücksicht auf die Konsequenzen.“ (B. Deneke, S. 247). Es folgt „Der Marsch der Arbeitslosen“, geschrieben von Mordechaj Gebirtig, 1877 in Krakau geboren. Er war einfacher Tischler und Sozialist, dessen Lieder so eingängig waren, dass sie zu Volksliedern wurden. 1942 wurde er im Ghetto von Krakau ermordet. In dem jiddischen Text heißt es zunächst resigniert:

Eins, zwei, drei, vier,
Arbeitslose, das sind wir.
Jahrelang gearbeit’ schwer,
Ham wir geschaffen immer mehr,
Häuser, Schlösser, Städte, Länder,
Für ein Häufchen von Verschwender.
Doch was ist der Lohn schon groß? –
Hunger, Not und arbeitslos.

Doch die Hoffnung stirbt zuletzt, darum heißt es in der letzten Strophe:

Eins, zwei, drei, vier,
darum jetzt marschieren wir.
Arbeitslose, Schritt um Schritt
Und wir singen unser Lied,
von dem Land, der Welt, der neuen
in dem leben Menschen, freie.
Arbeitslos ist unbekannt
In dem neuen, freien Land

Arbetlose-Marsch [vor 1942]
Text und Musik: Mordechaj Gebirtig
Ejns, tswej, draj, fir / Arbetlose senen mir ….
….. arbetlos is kejn schum hant / in dem najen frajen land.

1871 kam es in Paris zu einem ersten Versuch der „kleinen Leute“, ihre Sache in die eigenen Hände zu nehmen. Das Experiment scheiterte zwar blutig, hatte aber in weiten Teilen Europas eine elektrisierende Wirkung. Die Vorstellung, dass freie Menschen in einem freien Land ohne Hunger leben könnten, war einfach so überzeugend, dass die Pariser Kommune zum Vorbild für die organisierte Arbeiterbewegung wurde und sich immer mehr dem Kampf um menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen anschlossen. Auch die bayerischen Zentren der Industrialisierung in Franken, Schwaben, Ober- und Niederbayern wurden zu Hochburgen der Sozialdemokratie. Bertolt Brecht und Hanns Eisler: „Die Resolution“ aus dem Stück „Die Tage der Commune“.

Resolution der Communarden von 1934/35
Text: Bertolt Brecht / Musik: Hanns Eisler

In Erwägung unserer Schwäche machtet Ihr Gesetze, die uns knechten solln…
… Müssen wir dann eben, ja, das wird sich lohnen! Die Kanonen auf euch drehn“

Wenn von der organisierten Arbeiterbewegung die Rede ist, wird häufig vergessen, dass es dabei nicht nur um bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne ging, sondern um einen grundsätzlichen Gegenentwurf zur bürgerlichen Lebenswelt, also gegen Unterdrückung und Ausbeutung, gegen Militarismus, Aufrüstung und Kadavergehorsam allgemein. Umso verheerendere Auswirkungen hatte deshalb 1914 die Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten zur Finanzierung des I. Weltkriegs. Diese Aktion war für die organisierten Arbeiter völlig unverständlich und spaltete die Arbeiterbewegung fortan in zwei Lager. Nicht auszudenken, welchen Verlauf die Geschichte des 20. Jahrhunderts genommen hätte, wenn sich die Proletarierklasse damals tatsächlich gegen Militarismus und Chauvinismus über nationale Grenzen hinweg verbrüdert hätte.

Der Graben
Text: Kurt Tucholsky 1929 / Musik: Hanns Eisler 1956

Mutter, wozu hast Du Deinen aufgezogen… 
Reicht die Bruderhand als schönste aller Gaben übern Graben.

„Brüder, zur Sonne, zur Freiheit, Brüder, zum Lichte empor!": kaum ein hoffnungsvolleres Arbeiterlied als diese russische Volksweise, deren Verse 1897 in einer Moskauer Gefängniszelle von einem inhaftierten Revolutionär namens Leonid P. Radin verfaßt wurden. 20 Jahre später hörte ein deutscher Musiker, als Soldat in russische Kriegsgefangenschaft geraten, dieses Lied von russischen Häftlingen gesungen. Tief beeindruckt schrieb er noch während seiner Inhaftierung eine deutsche Nachdichtung des Freiheitslieds und einen Chorsatz. Es war der Dirigent Hermann Scherchen, der nun, nach Deutschland zurückgekehrt, das neue Lied mit seinen Arbeiterchören aufführte. Innerhalb kürzester Zeit lernte das Publikum diesen "russischen Arbeitermarsch", wie er zunächst hieß, und sang ihn auf den eigenen Versammlungen. Eine neue Hymne der Arbeiterbewegung war entstanden, diesmal nicht als Auftragswerk, sondern gewissermaßen im Selbstlauf, und aus Sympathie mit der russischen Oktoberrevolution, die den Arbeitern gezeigt hat, wie sich ein Weltkrieg beenden läßt.

Brüder zur Sonne, zur Freiheit (nach einer russischen Volksweise)
Text: Leonid P. Radin 1897, dt. Hermann Scherchen 1918

Brüder, zur Sonne, zur Freiheit….
… Ewig der Sklaverei ein Ende, heilig die letzte Schlacht.

Die Novemberrevolution 1918 beendete den I. Weltkrieg und die kaiserliche Militärdiktatur. Sie führte in Bayern zur Abschaffung der Monarchie, brachte den Frauen das Wahlrecht, den Arbeitern das gleiche Wahlrecht, sowie den 8-Stundentag und gipfelte schließlich in einer Räterepublik, deren Zentrales Organ Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte waren. Dr. Rosa Kempf, niederbayerische Arzttochter und Nationalökonomin, die ihre Doktorarbeit über die jungen Fabrikarbeiterinnen in München verfaßt hat, hielt als erste Frau im Dezember 1918 eine Rede im bayerischen Landtag. Und sie teilte gleich kräftig aus: 
Wenn wir uns in diesem Saal umsehen, dann werden Sie vergeblich die gleichberechtigte Beteiligung der Frau suchen. Wo hat der Bauernrat seine Bäuerinnen? Der Bauernhof kann aber ohne Bäuerin nicht geführt werden (…). Wo hat die Arbeiterschaft ihre Arbeiterinnen? Im Kriege standen die Arbeiterinnen in der Fabrik und in allen anderen Betrieben (…). Wenn also wirklich die Räte als Fundament einer neuen politischen Organisation bestehen bleiben sollen, dann muß auch für die Frau eine derartige Ratsorganisation geschaffen und sie muß mit Funktionen und Rechten ausgestattet werden (18.12.1918).

Das folgende Lied entstand anläßlich eines Streiks von 14.000 Textilarbeiterinnen in den USA, dessen Motto „Brot und Rosen“ später ganz allgemein zum Motto der Frauenbewegung wurde. Noch Ende des 19. Jahrhunderts starben über 80% der Arbeiterfrauen in Bayern, bevor sie das 50. Lebensjahr erreicht hatten. Sie litten vor allem unter ihrer dreifachen Belastung. Neben der Arbeit galt es ja noch den Haushalt zu machen und die Kinder zu versorgen; dass die Männer mal mithalfen, war äußerst ungewöhnlich. 16 bis 18 Stunden kamen so täglich zustande, nicht einmal der Sonntag war Ruhetag. Ähnliche Ausbeutungsmechanismen gab – und gibt es – überall auf der Welt.

Brot und Rosen [von 1912]
Text: James Oppenheim, dt. Peter Maiwald / 
Musik: Renate Fresow, Chorsatz: Erwin Jedamus 

Wenn wir zusammen gehen, geht mit uns ein schöner Tag…
… Zu Ende sei, daß kleine Leute schuften für die Großen. 
Her mit dem ganzen Leben, Brot und Rosen.

Die zwanziger Jahre waren zwar für einige wenige Leute wirklich „goldene“ zwanziger Jahre, für die anderen aber erwies sich das, was so verführerisch schimmerte, als wertloses Katzengold. Überall in den deutschen Großstädten gab es slumartige Verhältnisse, wie wir sie heute nur noch aus den Ländern der „Dritten Welt“ kennen.

Song vom Weizenbrot
Text: Bertolt Brecht    / Musik: Hanns Eisler

Der Bäcker backt ums Morgenrot… 
Und wenn du denkst es geht noch, das geht nicht.

Während also in den 1920er Jahren die Verarmung der Bevölkerung voran schritt, Hunger und Not an der Tagesordnung waren, begann gleichzeitig eine beispiellose Industrialisierung der Nahrungsmittel-Herstellung und eine Globalisierung der Märkte, eine Entwicklung, die bis zum heutigen Tag in absurde Dimensionen gerutscht ist. Dazu einige aktuelle Zahlen: 100.000 Menschen sterben täglich am Hunger, alle 7 Sekunden verhungert ein Kind, alle 6 Sekunden erblindet jemand, weil er zuwenig Vitamin A bekommt, mehr als eine Milliarde Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, vier Millionen Kinder sterben jährlich an Diarrhö. Über 800 Millionen von den 6 Milliarden Menschen sind permanent schwerstens unterernährt. Dabei wäre es heute problemlos möglich, über die Nahrungsmittelproduktion mehr als doppelt soviel Menschen, nämlich 12 Milliarden, satt zu bekommen. Doch der globale Markt hat andere Interessen.

Ballade von den Säckeschmeißern / 1930
Text: Julius Arendt / Musik: Hanns Eisler

Ach mich zieht’s nach einem fernen Lande…
… Das wird ein Winter, mein Junge, Wie er in deinem Leben nie wiederkehrt!

Aus der Münchener Frauen-Post von 1924:
An eine Arbeiterfrau
Warum gehen in Lumpen die Kinder dein?
Weil du stärktest beim Wählen der Gegner Reihn!
Warum rufen die Deinen vergebens nach Brot?
Weil du nicht verstandest der Stunde Gebot!
Warum wohnt ihr in Kammern kalt und dumpf?
Weil du beitrugst so oft zu der Feinde Triumph!
Warum altert zu früh und siecht hin dein Leib?
Weil du schaffst Tag um Tag für die Reichen, o Weib!
Stell mutig dich jetzt in der Brüder Reihn!
Den Armen helfen die Armen allein.
Sie kämpfen mit dir: froh schafft ihr euch Brot;
Selbst hebt ihr euch kraftvoll aus Jammer und Not.

Lob des Lernens von 1932
Text: Bertolt Brecht / Musik: Hanns Eisler 

Lerne das Einfachste! Für die, deren Zeit gekommen ist, ist es nie zu spät! …
…. Du musst die Führung übernehmen!

Aus den Wiegenliedern für Arbeitermütter [Nr. 2] von 1932
Text: Bertolt Brecht / Musik: Hanns Eisler 

Als ich dich in meinem Leib trug…
… Du, den ich in meinem Leibe trage Du musst unaufhaltsam sein..

Aus den Wiegenliedern für Arbeitermütter [Nr. 4] von 1932
Text: Bertolt Brecht / Musik: Hanns Eisler 

Mein Sohn, was immer auch aus dir werde…..
….dass es auf dieser Welt nicht mehr zweierlei Menschen gibt.

Die Zwischenkriegszeit der Weimarer Republik brachte keine Aussöhnung der gespaltenen Arbeiterbewegung. Der bayerische Schriftsteller Oskar Maria Graf, der sich immer auch als Sprachrohr der kleinen Leute verstand, hoffte noch im Juni 1933, dass es angesichts der tödlichen Gefahr zu einer Wende kommen könnte. In einer Grußadresse an den „antifaschistischen Arbeiterkongreß“ in Paris beschwor er die Kongressteilnehmer eindringlich: „Einigkeit! (…) Wie wäre eine solche Welle des Schreckens über uns hereingebrochen, wie wäre Hitler in Deutschland zur Macht gekommen, wenn die Arbeiterschaft aller sozialistischer Parteien und Richtungen immer fest zusammengestanden wäre. Verfallen wir nicht wieder in die Fehler der Vergangenheit! Ein Zurück gibt es nicht mehr! Eins nur führt uns vorwärts: Die Einigkeit unserer Klasse! Wo immer in aller Welt heute aufrechte Kämpfer sind – seien es Kommunisten oder Sozialdemokraten – sie müssen sich zusammenfinden! Das sind wir den bestialisch hingemordeten Toten aus unseren Reihen schuldig. (…) Vergessen [wir] unsere Zwietracht! Nur die internationale Einigung des Proletariats wird den Sieg bringen!“

Lied vom achten Elefanten
Text: Bertolt Brecht (1940/41) / Musik: Paul Dessau (1947/48)

Sieben Elefanten hatte Herr Dschin…
… Grabt weiter! Grabt weiter! Herr Dschin hat einen Wald, 
der muss vor Nacht gerodet sein und Nacht ist jetzt schon bald!

Für die Nazis waren die ausweglosen Verhältnisse der Massen ein Sprungbrett hinein in die Parlamente. Und dann, 1933, ging es für viele Deutsche auf einmal spürbar aufwärts, die Massenarbeitslosigkeit verschwand, die Autobahnen wurden gebaut, die Wirtschaft florierte – doch um welchen Preis? Aufrüstung und Kriegsindustrie wurden angekurbelt, aber gleichzeitig weite Teile der deutschen Bevölkerung ins Exil getrieben, ausgegrenzt, massiv bedroht und systematisch ihres Vermögens beraubt, in Konzentrationslagern wie Dachau zu Zwangsarbeit gepresst oder – wenn sie nichts mehr zu geben hatten – planmäßig ermordet. „Es ging wie am Fließband“, so äußerten sich Überlebende der KZs immer wieder fassungslos. In der Geschichte der Industrialisierung wurde somit ein ganz neues Kapitel geschrieben, nämlich die Industrialisierung des Massenmords. Und dabei hätte man die Zeichen der Zeit schon viel früher erkennen können.

Das Lied von der Tünche / 1936
Text: Bertolt Brecht / Musik: Hanns Eisler

Ist wo etwas faul und rieselt’s im Gemäuer…
… Hier ist Tünche, da wird alles neu. Und dann habt Ihr Eure neue Zeit.

Es folgt das Dachau-Lied. Der Komponist Herbert Zipper berichtet, wie das Lied entstanden ist: „Im August 1938 im Konzentrationslager Dachau: Jura Soyfer und ich mußten eine ganze Woche lang einen Lastwagen mit Zementsäcken beladen, die außerhalb des Lagers gestapelt waren… Deshalb sind wir täglich bis zu dreißigmal durch das Eingangstor des Lagers durchgegangen. Eines Tages … sagte ich zu Jura…: 'Weißt Du, diese Aufschrift über dem Tor – Arbeit macht frei – ist wirklich ein Hohn. Wir müssen unbedingt ein Widerstandslied machen, unseren Mitgefangenen ein bißchen Mut geben.' Und Jura antwortete: ,Ja, … ich habe sogar schon daran gearbeitet.' Es war etwa drei Tage später – wir mußten dann in einer Kiesgrube arbeiten, wo wir bis zum Bauch im Wasser gestanden sind -, als Jura zu mir kam und sagte, daß er schon fertig sei und mir den Text vortrug. 
Jura Soyfer, geboren 1912 als Sohn russisch-jüdischer Eltern, kam als 8jähriger nach Wien, wo er studierte und als gesellschaftskritischer Schriftsteller, Journalist und Kabarettist tätig war. Im März 1938, also noch bevor Österreich „heim ins Reich“ geholt wurde, versuchte er in die Schweiz zu fliehen, wurde gefasst und von seinen eigenen Landsleuten nach Hitler-Deutschland ausgeliefert. Über das KZ Dachau kam er nach Buchenwald, wo er 1939 an einer Typhusinfektion starb.

Dachau-Lied von 1938 
Text: Jura Soyfer / Musik: Herbert Zipper; Chorsatz: Erwin Jedamus

Stacheldraht mit Tod geladen…. 
… pack an Kamerad, denn Arbeit, Arbeit macht frei!

„Hartes Brot – Gutes Leben?“, so ist die Ausstellung zur Geschichte der Industrialisierung in Bayern überschrieben, die hier im Haus gezeigt wird. Vom „harten Brot“ haben wir nun einiges gehört, doch was ist mit dem „guten Leben“ – immerhin eine der Kern- und Schlüsselfragen der Philosophie, mit denen man sich schon im antiken Griechenland beschäftigt hat. Johano Strasser, Präsident des deutschen PEN-Vereins, schreibt in seinem Buch „Leben oder Überleben. Wider die Zurichtung des Menschen zu einem Element des Marktes“: „Die Frage nach dem guten Leben gärt in uns, und wenn die Grenzen unserer individuellen Handlungsmacht in den Blick kommen, dann wird die Frage nach dem erfüllten Leben fast zwangsläufig auch eine politische“.

In einer Zeit, in der den Industriegesellschaften die Arbeit auszugehen droht, scheinen die Arbeiter – wie vor ihnen die Bauern – als Stand im Aussterben begriffen zu sein. Wie aber dann den Lebensunterhalt sichern? Mit Kombilohn, mit einer Grundsicherung, gekoppelt an Bürgerarbeit, also ehrenamtlichen Tätigkeiten für das Gemeinwohl? Viele Modelle werden im Moment neu diskutiert. Doch sind die Modelle tatsächlich neu? Dreht sich die Abwärtsspirale des Gürtel-Enger-Schnallens nicht immer schneller? Sorgen Hartz IV und ähnliche Maßnahmen nicht dafür, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer uneinholbarer auseinander klafft? Es folgt die „Hartz-IV-Hymne“: „Einmal schafft’s jeder“.

Einmal schafft’s jeder, 1932
Text: Reich / Musik: Werner Richard Heymann

Einmal schafft’s jeder, jeder kommt dran, wenn er wirklich was kann…
…. Aber nur, wenn er wirklich was kann.

Einer, der es geschafft hat, und zwar bis ganz nach oben, ist der Vorstand von der Dresdner Bank Ernst-Moritz Lipp. Auf einer Party in Frankfurt mit den führenden Leuten aus der Wirtschaft soll er folgenden Kommentar losgelassen haben: „Deutschland ist ein Super-Tanker, und im Führer-Häuschen sitzt nicht der Bundeskanzler, sondern da sitzen die Leute, die hier auf unserer Party sind!“.

Konjunktur-Chacha / 1960
Text: Kurt Feltz / Musik Paul Durand 

Gehn Sie mit der Konjunktur….
…. Geld, das ist auf dieser Welt der einzge Kitt, der hält, 
wenn man davon genügend hat.

„Geld, das ist auf dieser Welt der einzge Kitt der hält…“ haben wir gerade in einem Lied gehört, das zwar schon 1960 geschrieben wurde, aber aktueller denn je ist. Arbeit ist heute eine frei handelbare Ware, weltweit massenhaft verfügbar, darum billig wie nie zuvor. Und die in schwierigen, jahrzehntelangen Kämpfen errungenen Rechte wie Mitbestimmung, Kündigungsschutz, Flächentarifverträge, arbeitsfreies Wochenende gelten nicht mehr als Errungenschaften, sondern als Wettbewerbshindernisse.

Die Ballade vom Wasserrad von 1934
Text: Bertolt Brecht / Musik: Hanns Eisler 

Von den großen dieser Erde singen uns die Heldenlieder….
…. Wenn das Wasser endlich mit befreiter Stärke, frei, 
Das Wasser seine eigne Sach betreibt.

Lob der Dialektik von 1932
Text: Bertolt Brecht / Musik: Hanns Eisler

Wer noch lebt, sage nie: Niemals… 
… Und aus „niemals“ wird „heute noch“