23.2.1944
England verzichtet auf "Raubgold"
Viel zu spät, nämlich am 23. Februar 1944, gab die englische Regierung bekannt, daß Großbritannien keinerlei Gold als Zahlungsmittel anerkennt, falls es von der deutschen Reichsbank kommt, denn dabei handele es sich um "Raubgold", das den Juden unrechtmäßig abgenommen worden war, und daran wollte man sich die Hände nicht schmutzig machen. Zu spät kamen solche Boykottmaßnahmen deshalb, weil zu diesem Zeitpunkt bereits ein Großteil des europäischen Judentums ausgelöscht worden war. Die wirtschaftliche Vernichtung der deutschen Juden hatte jedoch schon viel früher begonnen. Die nationalsozialistischen Enteignungs- und Arisierungsmaßnahmen, eine vornehme Umschreibung für brutalen Diebstahl und Erpressung, liefen spätestens nach dem Novemberpogrom 1938 auf vollen Touren. Zudem mußten die in der sogenannten Kristallnacht vorwiegend von SA und SS verursachten Schäden auf Kosten der Juden behoben werden, die Entschädigungsgelder der Versicherungen beschlagnahmte der Staat und es wurde die Zahlung einer Sonderabgabe in Höhe von einer Milliarde Reichsmark festgesetzt. Das bedeutete für jeden einzelnen Juden, ob arm oder reich, 20-25% Steuern auf sein Besitztum. Außerdem mussten alle Wertgegenstände aus Gold, Platin oder Silber sowie Perlen und Edelsteine bei staatlichen Ankaufsstellen abgegeben werden. Dafür bekamen die Juden einen geringen Gegenwert auf ein Sperrkonto gutgeschrieben, über das sie aber nicht verfügen konnten. Im August 1941 berichtete der Leiter des städtischen Leihamtes Dortmund stolz: "Wenn man nun bedenkt, daß wir für rund 92.000 RM Gegenstände ankauften, so kann man die Arbeit ermessen, die unser Goldschätzer Stadtobersekretär Gabriel Schmitz zu bewältigen hatte. Jedes anzunehmende Stück ging zur Prüfung durch seine Hände. Er hat diese Arbeit mit großer Gewissenhaftigkeit im Interesse des Reiches erledigt. Deswegen soll er hier besonders genannt und verewigt werden… Wenn in späteren Jahren einmal ein Forscher, der die Juden nur vom Hörensagen kennt, die Akten im Stadtarchiv Dortmund durchwühlt, wird er die Erkenntnis gewinnen, daß auch die deutschen städtischen Pfandleihanstalten zu ihrem geringen Teil an der Lösung der Judenfrage in Deutschland mitgearbeitet haben".
Und die Beraubung ging hemmungslos weiter. Ob Radios, Schreibmaschinen, Zeitungen; Fahrräder, Photoapparate, elektrische Geräte; Pelze, Wollsachen, Skier oder Haustiere: Besitz war Luxus und für Juden somit verboten. Perfiderweise setzten die deutschen Behörden judenfeindliche Aktionen zudem gerne am Sabbath oder an hohen jüdischen Feiertagen fest, so daß die Juden keinen ihrer Festtage unbeschwert begehen konnten, ohne befürchten zu müssen, wieder irgendwelchen Schikanen ausgesetzt zu werden. Vor ihrer physischen Vernichtung versuchte man die Juden also nicht nur wirtschaftlich und sozial, sondern auch psychisch zu vernichten.
Die meisten ausländischen Regierungen verhielten sich lange Zeit eher zurückhaltend in bezug auf das Schicksal der verfolgten Juden, auch wenn beispielsweise mit englischer Hilfe Tausenden von jüdischen Kindern die Deportation und somit der sichere Tod erspart werden konnte. Normalerweise jedoch hatten die Flüchtlinge große Schwierigkeiten, aufnahmebereite Länder zu finden, besonders wenn sie nicht viel Geld besaßen. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden die Fluchtwege immer enger, mußten sich die Juden in Frankreich und England beispielsweise gar als feindliche Ausländer in Lager sperren lassen. Und je länger der Krieg dauerte, je mehr es für die einzelnen Nationen ums Überleben ging, desto mehr wurde auch das Judenproblem an den Rand gedrängt. Horrormeldungen, dass die Nationalsozialisten fabrikmäßig organisierte Menschen-Vernichtungslager eingerichtet hatten, wurden deshalb auch im Ausland viel zu lange als völlig übertriebene Greuelpropaganda abgetan. Angesichts dieser Verbrechen scheinen so halbherzigen Gegenmaßnahmen wie jene Raubgold-Verordnung eher Ausdruck eines schlechten Gewissens gewesen zu sein – oder macht es sich die mit der späten Geburt begnadete Generation mit einem solchen Urteil zu einfach?