Sturm auf den Viktualienmarkt

2.8.1948
Münchner Hausfrauen stürmen den Viktualienmarkt

"Wer soll das bezahlen / wer hat das bestellt? Wer hat soviel pinkepinke / wer hat soviel Geld?" Den Schlager kennen Sie doch sicherlich auch heute noch, oder? Ja, aber kennen Sie auch den "Kalorien-Expreß" oder den "Vitaminzug"? Wissen Sie, was hamstern oder fringsen ist? Was Versorgungsperioden und Kochkisten, Verteilungsstellen und Sonderzuteilungen sind? Dann waren Sie vielleicht auch dabei, damals in München, auf dem Viktualienmarkt, bei der großen Eierschlacht, am 2. August 1948? Nein? Ach so, Ihnen hat man die Eier an den Kopf geworfen. Auch recht, eine Sauerei war das. 37 Pfennig hätten sie für das Ei verlangt, 37 Pfennig! Aber da ham sie sich schwer brennt, die Standlleut, das haben wir uns nicht bieten lassen. Jahrelang hat man gehungert, jahrelang hat's nix zum kaufen gegeben. Und jetzt, wo's Geld wieder was wert wär, jetzt sollte man sich die einfachsten Sachen nimmer leisten können?
Überall, in ganz Deutschland kam es im Sommer 1948 zu spontanen Käuferstreiks und Selbstjustiz gegen überhöhte Preise. Oft konnte erst die Polizei mit Überfallkommandos auf den Marktplätzen Ordnung schaffen. In Ansbach flüchteten die Verkäufer vor der wütenden Menge mit ihren Waren in die Kirche. In Augsburg und Nürnberg wurden zahlungskräftige Kunden von wild gewordenen Hausfrauen bedroht und geohrfeigt, wenn sie die hohen Preise bezahlen wollten. Und in München flogen nicht nur die Eier, sondern auch eine ausgewachsene, gerupfte Gans, die gerade für 25 Mark den Besitzer wechseln sollte. Drei schlimme Notjahre hatten die Deutschen nach Kriegsende schon hinter sich, in denen es weniger zu essen gab als vorher, während des Krieges. Das ganze Land hungerte, und das wiederum hatte etwas mit dem Auslöffeln einer Suppe zu tun, einer selbst eingebrockten. Und weil die mickrigen Lebensmittel-Zuteilungen bei weitem nicht ausreichten, mußte man sich etwas einfallen lassen, bloß wählerisch durfte man nicht sein. Auf dem Speiseplan standen damals beispielsweise Brennessel-Suppe und Löwenzahn-Gemüse, Eichhörnchen-Braten und Raben-Ragout oder Schneckenpflanzerl – lecker! Geld spielte in der Trümmerzeit überhaupt keine Rolle, weil es nämlich nichts mehr wert war. In den Läden verstaubten in leeren Regalen nur irgendwelche dubiosen Ersatzprodukte. Dafür konnte man auf dem Schwarzmarkt oder bei Hamsterfahrten zu den Bauern auf dem Land so ziemlich alles bekommen, was es sonst nicht gab. Allerdings brauchte man da schon etwas Handfestes zum Tauschen. Quer durch das zerstörte Deutschland waren deshalb die Menschen oft tagelang in überfüllten Zügen unterwegs auf der Suche nach etwas Eßbaren.

Und wer gar nichts mehr hat, der darf sich auch einfach etwas nehmen, bevor er verhungert, das hat der Kardinal Frings damals in einer Predigt selbst gesagt. Fringsen oder klauen, hamstern oder hungern, so konnte es auf Dauer jedoch nicht weitergehen. Und es begab sich, daß "der Ami" ein Einsehen hatte, die Währungsreform wurde beschlossen. Im Juni 1948 war es dann soweit, 40 Mark Kopfgeld hat jeder gekriegt. Und auf einmal hat's auch wieder alles zum Kaufen gegeben, Lebensmittel in Hülle und Fülle, Kleidung, Schuhe, Geschirr, Möbel, alles, alles. Der Kaufrausch brach aus. Das, was bisher nur streng rationiert abgegeben wurde, konnte man plötzlich frei, ohne irgendwelche Marken, kaufen. Aber da hatten die Käufer die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die Händler reagierten schnell auf die Nachfrage und zogen die Preise an. Und das wurde ihnen – nach soviel Jahren Verzicht – ziemlich übel genommen. Man wollte ja konsumieren, aber nicht um jeden Preis und schon gleich gar nicht bei den Grundnahrungsmitteln. Die Käuferstreiks hatten Erfolg, die Preise sanken wieder. Das war dann aber auch für lange Jahre die letzte effektive Konsumverweigerung im Wirtschaftswunderland.